Nachts im Zoo (Junge Liebe ) (German Edition)
Äpfel, Brötchen und große Fleischbrocken für die Tiere gegeben. Das große Eisbärenmännchen stellte sich bei der Fütterung sogar immer auf die Hinterbeine und fing die zugeworfenen Fleischstücke gezielt mit seinem Maul auf.
„Na, ob wir diesen Winter Nachwuchs bekommen bei unseren weißen Mäuschen?", überlegte Thomas laut, dabei begutachtete er die drei Eisbärenfrauen genau.
„Das würde mehr Arbeit und weitere Überstunden bedeuten", fügte Josh schmunzelnd hinzu.
Thomas nickte, ebenso amüsiert.
„Aber sind uns das die Tiere nicht wert?"
„Klar!", entgegnete Josh. „Und ich denke, ein kleines Eisbärenjunges wäre eine große Attraktion, die dem Zoo, nach den ganzen negativen Schlagzeilen der letzten Wochen, ziemlich guttun würde."
Er legte kollegial einen Arm um Thomas' Schulter und war zum wiederholten Male erleichtert, dass jener mit dem Mordfall im Zoo tatsächlich nichts zu tun gehabt hatte.
Winter im Zoo ...
Es hatte über Nacht erneut gefroren. Der Wassergraben bei den Braunbären war trockengelegt, dessen ungeachtet zog sich ein weißer Film von Raureif über die Steine und den Rasen.
Es war noch sehr früh. Zudem kamen in dieser Jahreszeit deutlich weniger Besucher in den Zoo. Trotzdem hob Josh ab und zu den Kopf, während er die Fäkalien der Bären mit Schaufel und Eimer von der Anlage sammelte, und spähte zum Besucherbereich, doch auch an diesem Tag erblickte er seinen Bruder nicht.
Jetzt, da Kevin seit Monaten nicht mehr in den Zoo kam, um ihm das Pausenbrot zu bringen, ihn zu beobachten oder mit lauten Fragen zu bombardieren, fehlte ihm dieses aufdringliche Verhalten regelrecht.
Jeden Morgen, Mittag und Abend, an dem Josh sich umblickte und in den Besuchermengen seinen Zwillingsbruder vergeblich suchte, merkte er zum wiederholten Male, wie innig sie miteinander verbunden waren.
„Josh? Pause!", rief Benni von weitem. Josh drehte sich und sah den Azubi an einem der Ausgänge im Felsen hektisch winken.
„Ich komme sofort!", antwortete er. Mittlerweile war er auch schon ganz steif gefroren, trotz Schal und Handschuhen. Doch die Arbeit im Freien musste erledigt werden.
Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über die Anlage schweifen, erblickte dabei sogar noch ein paar Nahrungsreste der Bären und schaufelte sie auf. Ob die Tiere sich freuten, wenn sie wieder in die Kälte durften?
Josh verschnaufte einen Moment. Warm hatte ihn diese Tätigkeit weiß Gott nicht gemacht. Aber vielleicht würden ihm ein heißer Kaffee und eine Zigarette im Pausenraum ein wenig einheizen?
Er nahm Kurs auf den Felsen, doch bevor er sich bückte, um ebenfalls durch den Ausgang zu verschwinden, drehte er sich, fast innerlich gezwungen, noch einmal, um ein letztes Mal den Besucherbereich mit seinen forschenden Augen abzutasten.
Und diesmal wurde er gegen all seine Erwartungen belohnt. Vor dem Bärengehege stand ein großer, schlanker Mann, der nur verhalten lächelte, trotzdem seinen Blick gezielt auf Josh gerichtet hatte.
Und der konnte so schnell gar nicht realisieren, was er sah. Erst, als der Mann seine Hand hob und wie gewohnt grüßte.
Ein Gruß, den Josh kannte, den er so sehnsüchtig vermisst hatte. Ein Gruß, der seinen Herzschlag ungewollt beschleunigte und seinen Körper wohlig erwärmte.
Und der Mann saß nicht, wie sonst, im Rollstuhl, sondern er stand ... auf beiden Beinen.
Josh entglitten Eimer und Schaufel, er begann zu rennen, bis zum Ende der Anlage, bis er dem Mann so nah gekommen war, wie nur möglich.
„Kevin!", es klang überrascht und dennoch glücklich. „Du bist frei?"
Josh stiegen die Tränen in die Augen, doch sie lösten sich nicht. Es war einfach zu kalt. „Komm hinten rum! Ich komme dir entgegen!", rief Josh eifrig, vielleicht war er diesmal dabei zu laut gewesen.
In Windeseile verließ er die Anlage, vergaß Eimer und Schaufel und eilte seinem Bruder entgegen, dabei durchquerte er den Pausenraum.
„Ratet mal, wer wieder da ist?", schrie er euphorisch. Es war warm im Pausenraum. Seine Kollegen saßen am Tisch und tranken Kaffee. Thomas, der dabei die Tageszeitung studierte, verdrehte die Augen.
„Doch nicht etwa dieser Piepgras schon wieder?"
„Nein." Josh stoppte nicht und lief einfach weiter. „Kevin!"
Die Tür des Pausenraumes klappte hinter ihm zu. Thomas atmete erleichtert auf. „Na, ein Glück, dann ist das Doppelte Lottchen ja wieder komplett."
Vor dem Eingang, der zum Bärenrevier führte, standen sie sich dann gegenüber.
Zuerst
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