Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
als er Alexandra bemerkte, in gewohnter Art seinen Anzug glatt und musterte sie, während er an seinen Ärmeln herumzupfte. Dann klopfte er Robert Schumann, der mit gesenktem Kopf vor ihm stand, auf die Schulter und kam mit einem selbstgefälligen Lächeln und einem Gang, bei dem selbst John Wayne vor Neid erblasst wäre, auf Alexandra zu.
Robert Schumann war anzusehen, dass er Schweres durchgemacht haben musste, als er wie ein Geist an Alexandra vorbeischlich. Ein wenig irritiert fing sie noch einen kurzen Blick von ihm auf und wandte sich dann dem Kommissar zu. »Vielleicht können Sie mir weiterhelfen, ich suche Harris Zimmering.«
Wieder musterte Kommissar Schneider sie eingehend. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
Alexandra warf einen unsicheren Blick über seine Schulter hinweg. Der Platz hinter dem Empfangstresen war leer, eine Milchglastür versperrte ihr die Sicht auf den Flur, und außer diesem arroganten Typen war weit und breit niemand zu sehen. Da sie keinerlei Lust auf eine Unterhaltung mit einem wildfremden und noch dazu für ihren Geschmack widerlichen Mittfünfziger im Nadelstreifenanzug hatte, deutete sie ein Lächeln an, nickte ihm zu und machte wortlos kehrt.
In diesem Moment hörte sie Harris’ Stimme, gleich darauf das Öffnen der Glastür hinter sich.
»Ist er schon weg? Mist, ich wollte doch … ach, ist ja auch egal … Alexandra?«
Die Hand schon an der Klinke, drehte sie nur den Kopf. Dicht gefolgt von Schneider, kam Harris auf sie zugelaufen.
»Herr Kriminalhauptkommissar, das ist Alexandra …«
»Fischer«, vollendete Alexandra, die Harris’ Verlegenheit bemerkte.
»Fischer, genau. Alexandra Fischer, eine … Bekannte.«
Alexandra ignorierte Schneiders entgegengestreckte Hand, drehte sich ein wenig seitwärts, so dass sie dem Kommissar die Schulter zuwandte, und stellte sich auf die Zehenspitzen. »Ich wollte dich um etwas Persönliches bitten!«, sagte sie leise.
»Na, dann lass ich Sie mal allein mit Ihrer … Bekannten!«, hörte sie den Kommissar sagen. Schon die Art, wie er das Wort »Bekannte« akzentuierte, wirkte anzüglich und ließ auf seine Borniertheit schließen. Obwohl er Harris’ unmittelbarer Vorgesetzter zu sein schien, würdigte sie ihn keines Blickes mehr, sondern machte einen auffällig großen Bogen um ihn herum und folgte Harris durch die Glastür. Kaum dass sie sein Büro betreten hatten, zog Alexandra mit zitternden Händen den schlammverschmierten Schal aus ihrer Tasche und hielt ihn Harris hin. »Ich möchte, dass du diesen Schal untersuchen lässt!«
»Worauf?«
»Ich hab keine Ahnung … auf Fingerabdrücke oder … Blutspuren? Worauf man so was eben untersucht!«, stammelte sie. »Was weiß ich denn! Du bist doch der …«
Harris umfasste ihre bebenden Schultern und hielt sie fest. »Beruhige dich erst mal, und erzähl mir, was passiert ist.«
Behutsam nahm er ihr den Schal aus den Händen und legte ihn auf dem Stuhl ab. Dann lief er zum Aktenschrank, goss einen Kaffee ein und stellte die Tasse mit leichtem Grinsen auf seinen Schreibtisch.
»So. Dafür, dass du dich bei diesem Sauwetter mit dem Radabgestrampelt hast, kriegst du jetzt erst einmal … einen fast kalten Kaffee von heute Morgen.«
Alexandra warf einen ungläubigen Blick aus dem Fenster, und tatsächlich, es regnete, nein, es goss wie aus Kannen. Sie nahm den Schal wieder an sich und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Nina hat heute Morgen gegen sechs mit diesem Schal das Grundstück verlassen. Ein paar Stunden später bin ich mit Jack im Wald spazieren gegangen, und er hat ihn gefunden. Ich versuche seit fast einer Stunde sie anzurufen. Das Handy ist ausgeschaltet! Das tut sie nie, niemals schaltet sie ihr Handy aus.«
Alexandra war inzwischen zu der felsenfesten Überzeugung gelangt, dass Nina Opfer eines Verbrechens geworden sein musste und in gar keinem Fall den Schal einfach nur verloren haben könnte.
Noch bevor Harris Luft holen konnte, wurde die Tür hinter ihm aufgerissen, und Kommissar Schneider steckte den Kopf herein.
»Ich störe ja nur ungern, aber Ihre Intuition ist gefragt! Kommen Sie, Fräulein Zimmering!« Er bedachte Harris mit einem spöttischen Blick und sah dann zu Alexandra. »So ein Riesenvieh von einem Hund da draußen, ich glaube, er frisst gerade Ihr Fahrrad!«
»Wichser!«, knurrte Harris, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war.
Nach kurzer Überlegung griff er den Schal, betrachtete ihn einen Moment mit zusammengekniffenen Augen und
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