Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
sicher nicht.
Die auf dem Display angezeigte Nummer sagte Harris nichts, doch der Beharrlichkeit nach musste es wohl dringend sein.
Es war Schneider. »Nur zu Ihrer Information«, hallte es, unterbrochen von lautstarken Nebengeräuschen, aus dem Telefon. »Die Müllabfuhr hat sich gemeldet. Der Zufall wollte es, dass ihnen heute Morgen ausgerechnet Robert Schumanns Müllsack zerplatzte. Und was fanden sie? Ein blutgetränktesMännershirt! Die Müllfritzen waren so geistesgegenwärtig, uns anzurufen. Pech für Sie und Ihren Freund! Das Labor hat zwar bisher keinerlei Spuren von Robert Schumann feststellen können, aber das Blut konnte einwandfrei Theresia Hoefling zugeordnet werden.«
»Was heißt das jetzt?«, brüllte Harris zurück.
»Dass ich mir persönlich Ihren Freund noch mal vornehme. Ich will Zugriff auf sein Telefon, seinen Computer. Ich will wissen, wo er einkauft, was er einkauft, wen er trifft. Besorgen Sie mir meinetwegen seine Unterhosengröße, einfach alles. Und was Sie angeht, ziehen Sie sich warm an, Zimmering! Mir ist nämlich schleierhaft, wie Sie bei der Untersuchung des Mülls das Shirt übersehen konnten!«
19.
Hätte Jack nicht am Morgen den Schal gefunden, würde sie Nina jetzt im Flugzeug über dem Atlantik wissen und sich einfach nur auf den abendlichen Besuch von Harris freuen. So aber hatte Alexandra den gesamten Nachmittag im Dorf ausgeharrt, um im funktionierenden Funknetz an die dreißig Mal Ninas Handy anzurufen. Gegen fünf hatte sie schließlich enttäuscht aufgegeben und sich von einem hungrigen Welpen nach Hause ziehen lassen. Nun fieberte sie Harris’ Erscheinen entgegen und hoffte inständig, dass er gute Nachrichten brachte. Alexandra beschloss, die Wartezeit damit zu verkürzen, die Kartons, die noch leer geräumt in der Küche standen, zusammenzufalten und in der Scheune für einen möglicherweise kommenden Umzug zu deponieren.
Sie steckte gerade bis zu den Schultern im letzten Karton, als sie das schwache Knarren einer einzelnen Flurdiele hörte. Kurz darauf lehnte Harris am Türrahmen. Er hatte sich so leise angeschlichen, dass selbst Jack, der auf seiner Decke unter dem Küchenfenster vor sich hin döste, ihn nicht gehört hatte. Entgegen ihrem Drang, Harris sofort mit Fragen zu bombardieren, gab sie vor, ihn nicht bemerkt zu haben, zerrte weiter an einer Kiste herum und wartete darauf, dass er »Hallo« sagte. Doch nichts dergleichen geschah.
»Du siehst ganz schön fertig aus!«, sagte Alexandra schließlich und sah zu ihm auf.
»War ’n Scheißtag.«
»Willst du drüber reden, oder darfst du das nicht?« Sie gab dem Karton einen Tritt, so dass er endlich in sich zusammenfiel.
»Beides. Wär gut, drüber zu reden … und dürfen, na ja, ich sag mal so, Schneider geht mir am Arsch vorbei. Da du nicht verdächtigt wirst, sechs Frauen getötet zu haben, wüsste ich nicht, warum ich mit dir nicht über meinen Job reden sollte. Aber vorweg, ich habe mich erkundigt: Deine Freundin ist wohlauf und hat vor einer Stunde das Flugzeug nach New York bestiegen.«
Alexandra atmete tief und hörbar aus, aber die Hoffnung, ihre Anspannung würde dadurch weichen, erfüllte sich nicht. »Und der Schal? Hast du sie gefragt, warum …«
»Ich hab nicht mit ihr, sondern mit der Fluggesellschaft gesprochen. Und die haben mir bestätigt, dass Frau von Treuenfeld um achtzehn Uhr eingecheckt hat.«
»Okay, okay, dann ist es gut, okay.«, wiederholte Alexandra fortwährend, so als müsse sie sich selbst von dieser Aussage überzeugen, die sie momentan nicht überprüfen konnte. »Ich verstehe bloß nicht, wie sie ihn verlieren konnte.«
»Ach ja … der Schal. Ich hab ihn zwar schon fürs Labor eingetütet, aber er liegt sicher noch auf meinem Schreibtisch.«
»Verstehe. Gib ihn mir bei Gelegenheit zurück.«
Unschlüssig, da alle Informationen nicht zu der Gewissheit führten, die sie sich erhofft hatte, stand Alexandra bewegungslos im Raum. Es machte sie hochgradig nervös, Nina nicht einfach anrufen zu können, sondern nun darauf warten zu müssen, dass die Freundin gegen drei Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit in New York landete. Wieder drängte sich die Frage nach dem untypischen Ausschalten oder der Funktionalität von Ninas Handy auf. So, wie sie die Freundin einschätzte, würde diese sich noch in der gleichen Sekunde, in der ihr Handy den Geist aufgab, ein neues kaufen, um keinesfalls auch nur eine halbe Stunde lang unerreichbar zu sein.
»Bier, Wasser, Kaffee,
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