Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
verlegen nach einem Bierdeckel und drehte ihn zwischen den Fingern.
»Sein Bedarf scheint gedeckt, hört sich komisch an.«
Es war Harris deutlich anzusehen, dass er zögerte weiterzusprechen. Natürlich hätte er gern mit seinem neu erworbenen kriminalpsychologischen Wissen geprahlt, aber er wusste, dass er sich damit auf verdammt dünnes Eis wagte.
»Sie haben festgestellt, dass Robert mit allen Opfern mal was hatte. Aber da er Rothaarige liebt und die ja eher selten sind, kann man das nicht gerade als großen Zufall bezeichnen. Ich Idiot hab dieses dämliche Fax, auf dem das stand, nicht gelesen, sonst hätt ich’s Schneider natürlich sofort unter die Nase gehalten. Ich bin jedoch nach wie vor davon überzeugt, dass Robert es nicht war. Ich glaube vielmehr, dass unser Unbekannter nach einem Muster vorgeht. Und wenn ich recht habe, wäre das Bild nun eigentlich vollständig.«
»Du glaubst, ich muss meine Haare nicht pink färben, weil er aufgehört hat?«, fragte Alexandra. »Und was bedeutet: Das Bild ist vollständig?«
»Der Mörder hat die Leichen so angeordnet, dass sie ein Bild ergeben. Sechs Leichen, sechs Punkte auf der Landkarte. Wenn man sie miteinander verbindet, entsteht ein Herz.«
»Das ist sein Motiv?«
Harris horchte auf. Darüber hatte Schneider nie geredet, zumindest nicht mit ihm. »Du meinst, er tötet aus Liebe?«
»Oder Hass!«
»Das ergibt keinen Sinn für mich.«
»Doch, ein zerbrochenes Herz! Liebe, Schmerz, Rache. Für mich gibt es nur eine Sache, weswegen ich töten würde. Und das ist Rache!«
Harris schien sich plötzlich nicht sonderlich wohl zu fühlen, denn wie immer, wenn er nervös wurde, knetete er sein rechtes Ohr. »Für das, was ich dir jetzt sage, wird mich Schneider endgültig feuern. Also versprich mir, dass du niemals darüberredest.« Er wartete Alexandras Nicken ab und senkte die Stimme. »Ich muss es loswerden. Erinnerst du dich, dass ich dir von dem blutigen Shirt in Roberts Müll erzählt habe? Es war drin, als ich den Müll durchsuchte. Und ich hab’s noch tiefer reingesteckt, in der Hoffnung, dass man es nicht finden würde. Ich weiß, es ist saublöd, aber ich wollte Robert schützen.«
Alexandra war entweder wenig beeindruckt oder so in Gedanken, dass sie nicht darauf einging. »Sagtest du nicht, dass der Mörder Linkshänder ist?«, fragte sie stattdessen.
»Sagte ich das?«, wunderte sich Harris und schlug dann laut stöhnend die Hände vor sein Gesicht. »Gibt es irgendwas, das ich dir nicht erzählt habe? Verdammte Scheiße, vielleicht sollte ich dich umbringen, du weißt einfach zu viel.«
»Wusstest du, dass Dirk Schumann Linkshänder ist?«
»Du meinst Robert.«
»Ich meine Dirk. Er war heute bei mir, um sich die Elektrik anzusehen. Ich habe ihm eine Wurst zugeworfen, und er hat sie mit links gefangen.«
Harris schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ist mir nie aufgefallen. Bist du dir sicher?«
»Ich habe es bemerkt, weil ich selbst Linkshänderin bin.«
Harris sah sie erstaunt an. Zur Unterstreichung ihrer Worte wechselte sie Messer und Gabel aus, so dass das Messer nun auf der linken Seite lag. Es dauerte nur einige Augenblicke, bis eine Frauenhand über ihre Schulter hinweggriff und das Besteck wieder wie üblich ordnete. »So rum ist falsch. Wenn’s der Chef sieht, krieg ich Ärger. Also lass es gefälligst so liegen, ja? So! Was wollt ihr nun?« Claudia stand, die rechte Hand mit dem Stift schreibbereit auf dem Notizblock, mit genervter Miene hinter ihnen.
»Das Gleiche wie immer«, sagte Harris, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Keine Ahnung, was ›wie immer‹ ist. Kannste’s auch vernünftig sagen?«
Harris’ Antwort klang deutlich gereizt. »Ein Steak ohne den ganzen Scheiß. Nur Steak mit Baguette.«
»Für mich auch«, fügte Alexandra hinzu, obgleich sie Lust auf jede Menge Extrawünsche gehabt hätte.
Claudia drehte sich auf dem Absatz um und schlenderte betont langsam in Richtung Küche.
»Du hattest recht«, sagte Alexandra, »hier sind alle irgendwie gereizt.«
Harris lachte gequält auf. »Ja. Und wir beide haben auch immer nur ein und dasselbe Thema. Mord! Als gäbe es nichts anderes!«
»Zum Beispiel?«
»Erzähl mal was über dich! Oder gibt es da etwa ein großes Geheimnis, das du mit ins Grab nehmen willst?«
»Ich habe keine Geheimnisse.«
Harris beugte sich nach vorn und sah tief in Alexandras unergründlich grüne Augen. »Jeder hat welche!«, sagte er leise.
Einen Moment hielt sie seinem Blick
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