Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
kurzerhand bei Harris unter und zog ihn in Richtung Ausgang.
Der Regen war so stark, dass sie gezwungen waren, unter dem Vordach stehen zu bleiben, wenn sie nicht binnen weniger Meter bis auf die Haut durchnässt sein wollten. Harris war anzumerken, wie sehr ihn Schneiders Wutausbruch beeindruckt hatte, denn er trat unschlüssig von einem Bein aufs andere. »Wo er recht hat, hat er recht«, murmelte er.
»Hat er nicht! Einfach schon wegen dieser ekelhaften Art. Dieser Typ ist doch wirklich ein Kotzbrocken!«
Harris schüttelte unmerklich den Kopf und begann, im engen Radius des Vordaches im Kreis zu laufen. »Ich muss mir doch nur vorstellen, ich wäre der Vater eines dieser Mädchen und würde darauf warten, dass die Polizei diesen Wahnsinnigen schnappt. Und dann übersieht so einer wie ich ’ne Information, die dazu führen könnte, dass man ihn endlich kriegt. Ich würd noch mehr ausflippen als Schneider.«
»Und was ist diese wichtige Information?«
»Dass alle diese …« Harris verstummte. »Ich darf darüber nicht reden«, sagte er bestimmt und sah sie das erste Mal an. »Was hast du da?«, fragte er und deutete auf die Wunde an ihrer Stirn.
»Deswegen bin ich eigentlich hier.«
Wegen der abstrusen Begegnung mit Schneider und derdarauffolgenden chaotischen Umstände war der eigentliche Grund, weshalb sie gekommen war, ins Hintertreffen geraten.
Alexandra fürchtete sich plötzlich vor dem, was sie sagen wollte. Das eine war, es zu denken, das andere, erhaben gegen jeglichen Widerspruch oder gar Spott zu sein, zumal sie sich noch immer nicht sicher war, ob sie das, was sie erzählen wollte, auch wirklich erlebt hatte.
»Ich habe sie heute Nacht gesehen«, hörte sie sich dennoch flüstern.
»Wen hast du gesehen?«
»Die Frau auf meinem Dachboden.«
Die Hoffnung, Harris würde unter diesen Umständen alles stehen und liegen lassen und sie sofort nach Hause begleiten, erwies sich als falsch. Entgegen ihrer Erwartung blieb er regungslos vor ihr stehen und schien darauf zu warten, dass sie den Scherz auflöste.
»Du glaubst, ich denke mir das alles nur aus. Ich spinne, phantasiere mir irgendeinen Mist zusammen. Das denkst du doch jetzt, oder?«
»Das denke ich nicht!«
»Dann unternimm was!«
»Also gut. Ich werde heute Nachmittag einen Beamten vorbeischicken, der das Haus noch mal von oben bis unten durchsucht. Einverstanden?«
In Alexandras Blick lag alles andere als Einverständnis.
»Danach wirst du dich besser fühlen!«, versuchte Harris sie zu beruhigen.
»Ich will mich nicht besser fühlen, ich will, dass es mir besser geht.«
Harris zog genervt die Brauen nach oben. »Okay, ich komme am Abend noch mal vorbei.«
»Warum nicht gleich? Ich meine, kannst du dir nicht vorstellen, dass …«
»Ich kann’s mir vorstellen. Aber wie du ja vielleicht mitbekommen hast, gibt’s Stress hier.«
»Ja. Und Schneider hat dich gefeuert.«
»Das kann er gar nicht.«
»Dann hat er dir eben den Nachmittag freigegeben!«
»Schwachsinn! Mein Dienst geht bis sieben. Wenn ich jetzt abhaue … dann werd ich gefeuert.«
Alexandra verstummte. Ihre Bemühungen, Harris umzustimmen, gestalteten sich als hoffnungsloses Unterfangen, sein Dienstgehorsam oder die Angst vor Schneiders Reaktion waren einfach stärker.
»Ach so, bevor ich’s vergesse. Auf den Schal deiner Freundin musst du noch ’nen Moment warten. Ich hatte ihn nämlich in ’ne Labortüte gesteckt, und irgendjemand hat ihn fälschlicherweise mitgenommen. Aber keine Sorge, ich geh mal nicht davon aus, dass sie ihn inzwischen zerschnitten haben … hoffe ich zumindest.«
Obwohl es immer noch wie aus Eimern goss, blieb Alexandra nun nichts anderes übrig, als auf dem Fahrrad den Heimweg anzutreten. Harris schien das entweder nicht sonderlich zu beeindrucken, oder er war so in Gedanken, dass er nicht bemerkte, wie Alexandra sich auf ihr Rad schwang. Erst Jack, der die ganze Zeit triefend vor Nässe neben dem Rad ausgeharrt hatte, riss ihn mit seinem Freudengebell aus seinen Überlegungen.
»Na dann bis heute Abend«, rief Alexandra und fuhr, ohne seine Reaktion abzuwarten, davon.
23.
Harris hielt sein Versprechen, denn gegen vier Uhr hörte Alexandra tatsächlich ein Auto vorfahren, kurz darauf hämmerte eine Faust an ihre Eingangstür. Eine ganze Stunde lang durchforstete der Beamte das Haus, Zimmer für Zimmer, vom Dachboden bis hinunter in den Keller. Ohne Ergebnis. Eines allerdings fand er, verdeckt von einem Tuch, auf dem Fußboden
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