Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Robert umbrachte. Beide steckten verdammt tief in der Scheiße.
»Wieso belastet er seinen Bruder?«, fragte Schneider, womit er exakt Harris’ nächste Überlegung formulierte. »Da stimmt was nicht. Robert Schumann weiß, dass wir nach einem Linkshänder suchen, er hätte also einfach sagen können, Dirk sei Rechtshänder, was sogar der Wahrheit entspricht, und die Sache wäre erledigt. Er tut’s aber nicht, sondern lobt dessen Perfektion. Wie ist das Verhältnis zwischen den beiden?«
»Dirk vergöttert Robert. Robert dagegen, na ja, nicht dass er ihn links liegenlässt, aber er legt auch keinen sonderlichen Wert auf Dirks Gesellschaft. Trotzdem lässt er ihn ab und zu bei sich pennen, borgt ihm sein Auto oder lädt ihn zum Saufen ein.«
»Was macht Dirk Schumann noch mal beruflich?«
»Er arbeitet in der Autowerkstatt seines Onkels.«
»Ach ja, mit ’ner Waschanlage, oder?«
»Klar, hat jede Werkstatt.«
»Professionelle Autoreinigung?«
»Bieten die auch an.«
»Und da fragen wir uns, warum Robert Schumanns Auto sauberer als ein OP-Saal ist!«
Schneider ließ sich wieder in den Sessel fallen. »Wir fangen noch mal von vorn an: die Obduktionsberichte und Ergebnisse der Spurensicherung durchforsten, Widersprüche und Unstimmigkeiten in den vorliegenden Zeugenaussagen finden und vor allem neue Zeugen auftreiben. Fragen Sie sich von Haus zu Haus durch!«
»Das haben wir doch alles schon getan.«
»Dann tun Sie’s noch mal! Außerdem brauche ich eine lückenlose Aufstellung, wo Dirk Schumann zum Zeitpunkt der anderen Morde war. Holen Sie mir seinen Onkel ran, überprüfen Sie seine Telefonate, reden Sie mit den Saufkumpanen. Ab jetzt wird rund um die Uhr gearbeitet.« Schneider setzte ein beinah frohlockendes Grinsen auf.
»Vielleicht rettet mir dieser Dirk Schumann ja den Arsch!«
28.
Es war keine Pension im herkömmlichen Sinn, vielmehr ein ausgebautes Gartenhäuschen auf dem Grundstück eines Rentnerehepaars, das im Laufe der Jahrzehnte mit den ausrangierten Möbeln des Haupthauses gefüllt worden war. Die Küchenzeile stammte aus den frühen Siebzigern, das braune, mit Samtkord bezogene Ecksofa, welches gut den halben Raum einnahm, war sicher kurz nach dem Mauerfall dort abgestellt worden, ebenso ein nierenförmiger Tisch mit eingelassener Glasplatte, unter der vergilbte Postkarten steckten. Der Rest der Einrichtung schien neuzeitlicher und sprach nicht gerade für guten Geschmack, geschweige denn für Stil. Kurz und gut, es war ein Sammelsurium verschiedener Epochen deutscher Möbelindustrie, das wenig einladend wirkte. Hinzu kamen jede Menge Kunstblumen in Töpfen und Vasen, die den schmalen Fenstersims säumten. Ihren Urlaub hätte Alexandra hier nicht verbringen wollen, aber für ein, zwei Nächte sollte es genügen.
Herr Anders, ein kleiner dicker Mann um die achtzig, stand, einen Stapel kariertes Bettzeug unter dem Arm, mitten im Raum und versuchte mit der Spitze seines Krückstockes eine umgeschlagene Ecke des Teppichs wieder geradezurichten. Alexandra überlegte, ob sie ihm behilflich sein sollte, zögerte aber. Der alte Mann hatte bisher noch nicht ein Wort gesprochen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt sprechen konnte. Vollkommen wortlos hatte er die Bettwäsche von seiner Frau in Empfang genommen und war danach einfach losgelaufen. Nach einem Wink der Ehefrau war Alexandra ihm gefolgt.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Alexandra, da abzusehen war, dass seine Bemühungen erfolglos bleiben würden, und machte ein paar vorsichtige Schritte in seine Richtung. Mit einer heftigen Bewegung seines Stockes wehrte er sie ab und stellte, schnaubend vor Wut, einen Fuß auf die umgeschlagene Ecke. Ein paar Sekunden lang blieb er in dieser Haltung, so als überlege er, was als Nächstes zu tun sei, dann ließ er das Bettzeug aus seinem Arm fallen, warf den Stock zur Seite und ging umständlich auf die Knie, sein rechtes Bein steif zur Seite gestreckt. Mit zittrigen Händen schlug er den Teppich um, stellte einen Fuß darauf und versuchte wieder nach oben zu kommen. Es gelang ihm nicht. Alexandra musste nur einen großen Schritt machen, um ihn gerade noch aufzufangen, bevor er seitlich auf den Boden schlug. Keuchend lag der alte Mann in ihren Armen. Er hielt seine Augen geschlossen und rührte sich nicht. Ein Gemisch aus Tabakgeruch und Schweiß umgab ihn, übertönt vom Rasierwasser des Morgens. Der Geruch erinnerte Alexandra an ihren Großvater, den sie sehr geliebt hatte.
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