Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Antwort darauf sein würde, aber er kam zu keinem Schluss. Die Wahrheit musste sich für weibliche Ohren ungewöhnlich anhören, denn die meisten Männer praktizierten das Gegenteil.
»Die Wahrheit ist, dass es zu früh war, um mit dir ins Bett zu gehen. Ich wollte es nicht.«
»Du wolltest nicht«, wiederholte Alexandra mit gezielt spitzem Unterton.
»Weil du anders bist.«
»Klingt merkwürdig.«
»Ich wusste, dass du das sagst.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
»Um nicht mit mir ins Bett gehen zu müssen, lässt du deine tote Mutter auferstehen? Entschuldige, aber das ist wirklich fast eine …«
»Beleidigung?«
»Genau das. Zumal du mir eine Szene gemacht hast, als ich mich darüber wunderte.«
Harris stand so abrupt auf, dass der Stuhl hinter ihm krachend zu Boden fiel. »Jetzt mach mal ’nen Punkt«, donnerte er los, nahm aber die Lautstärke sofort wieder zurück. »Ja, du hast recht, wenn du sagst, dass es schwer zu verstehen ist. Undnatürlich hast du auch das Recht, dich darüber aufzuregen, dass ich gelogen habe. Du könntest aber auch versuchen, mich zu verstehen!« Was auch immer in ihm vorging, der Ärger war ihm anzusehen. Mit ausholenden Schritten durchmaß er das Zimmer und schüttelte fortwährend den Kopf. »Ich wollte es anders machen, weil … ich mich in dich verliebt habe«, sagte er schließlich und verließ die Küche.
Alexandra kam sich plötzlich klein und dumm vor. Ihr Stolz untersagte es ihr, aufzuspringen und ihm nachzulaufen, aber das erste Mal kämpfte sie gegen ihn an. Auch wenn es Harris mit der Notlüge nicht gelungen war, zu verhindern, dass sie in der Pensionsnacht schließlich doch miteinander schliefen, der Versuch war ehrenhaft und zeugte davon, dass er es ernst meinte. Es war an ihr, sich zu entschuldigen.
Er war nirgends zu sehen, als sie den Flur betrat, auch das vordere Zimmer war leer, sie bemerkte ihn erst, als sie zur Küche zurücklaufen wollte. Harris saß, das Gesicht in den Händen vergraben, auf den Treppenstufen.
»Es macht keinen Spaß, mit dir zu streiten«, sagte er.
»Geht mir genauso«, pflichtete Alexandra ihm bei und setzte sich neben ihn. »Wechseln wir einfach das Thema. Worüber möchtest du reden?«
Harris legte den Kopf in den Nacken, verharrte einen Augenblick in dieser Haltung und ließ ihn dann nach vorn fallen. »Nicht über die Arbeit!«, stieß er hervor.
»Doch! Ich muss es wissen, damit ich hier weiter wohnen kann.«
Sie wartete einen Moment, dann lächelte sie verführerisch. »Oder du musst von jetzt an jede Nacht bei mir schlafen! Du kannst es dir aussuchen!«
Harris hob ruckartig den Kopf. »Ich nehme das nach dem ›oder‹!«
»Auch gut«, sagte Alexandra und lehnte sich an seine Schulter. Die Ruhe hielt nicht lang. »Trotzdem. Eine Erklärung bistdu mir schuldig. Ihr habt doch nun jemanden festgenommen. Robert oder Dirk?«
»Beide«, antwortete Harris unwillig.
»Okay. Und wen sucht ihr dann jetzt?«
»Den großen Unbekannten. Schneider ist davon überzeugt, dass es keiner von den Schumanns war. Und ich glaube das auch.«
»Und warum glaubt ihr das?«
Alexandra begann, unruhig hin und her zu rutschen. »Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«
»Weil es viel zu einfach wäre.«
»Versteh ich nicht. Muss es immer kompliziert sein?«
Harris drehte sich jetzt zu ihr.
»Da hat jemand fünf Menschen umgebracht, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. Und dann stopft er beim sechsten Mord sein blutiges T-Shirt in den Müll? Und vergisst beim Siebten, die schwarze Perücke zu verstecken?«
Alexandra wurde blass. Sie griff sich an den Hals, zerrte am Kragen ihres Shirts und rang nach Luft. Es dauerte einige Sekunden, bevor sie sprechen konnte. »Sagtest du eben, eine schwarze Perücke?«
»Ja. Ganz am Anfang fanden wir nur ein langes schwarzes Haar, später noch eins, jetzt die passende Perücke dazu.«
»Wir haben nie darüber gesprochen, weil Schneider dieses dämliche Fax … mein Gott!«
»Was?«
»Ich erzählte dir doch, dass ich auf dem Dachboden eine Frau gesehen habe.«
Harris reagierte schnell. »Ja, das sagtest du. Und soviel ich weiß, hat daraufhin einer meiner Kollegen das gesamte Haus auf den Kopf gestellt und nichts gefunden. Alex, ich kann das gut nachvollziehen. Es ist Nacht, du bist allein, hörst Geräusche, du hast Angst. Das alles gaukelt dir merkwürdige Sachen vor, die es nicht gibt.«
Alexandra stützte ihr Kinn auf beide Hände und kniff die Augen zusammen. Immer
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