Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
wieder wanderte ihr Blick unauffällig zu Harris.
»Warum tust du das?«
»Ganz einfach. Ich möchte nicht, dass du dich in etwas hineinsteigerst, was dir Angst macht.«
Alexandra stieß jetzt laut die Luft durch die Lippen.
»Nein. Du willst mir beweisen, dass ich irre bin. Du glaubst mir nicht.«
»Ich glaube dir ja, aber …!«
»Eben nicht, nicht mal im Ansatz, sonst würdest du mich zu Ende reden lassen.«
Harris gab auf. Natürlich hatte es keinen Sinn, ihr zu erzählen, dass der gesuchte Mörder noch frei herumlief, und gleichzeitig zu erwarten, dass sie sich von ihm beruhigen ließ. Also nickte er und wartete dann geduldig, dass sie weitersprach.
»Es war wie in jeder Nacht. Ich wachte von irgendwas auf. Dann spielte Jack plötzlich verrückt. Er musste etwas gehört haben. Und da es nur von oben kommen konnte, bin ich rauf und habe die Luke angehoben.« Alexandra prüfte mit kritischem Blick, wie Harris reagierte. Überrascht stellte sie fest, dass er keinerlei Regung zeigte, sondern gelassen, beinah teilnahmslos auf seine Füße starrte. »Und dann sah ich sie. Eine dünne Person mit langen schwarzen Haaren. Im ersten Moment sah sie wie eine Frau aus, aber es war ein Mann. Eindeutig. Ein Mann mit einer schwarzen Perücke, der sich immer wieder an sein …« Ganz plötzlich wurde Alexandra klar, dass sie den Satz unmöglich zu Ende führen konnte.
»Ja?«, fragte Harris, der langsam ungeduldig wurde.
»Nichts«, sagte Alexandra schnell und sah mit Entsetzen, wie Harris sich an sein rechtes Ohr griff.
»Wenn du hier gewesen wärst, dann …«
»Alex!«
Bevor er weitersprechen konnte, war Alexandra aufgestanden und sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an. »Nenn mich nicht Alex, das darf nur Nina.«
»Okay. Alexandra! Wenn ich da gewesen wäre, dann hätte ich dir bewiesen, dass da nichts ist. Es war bestimmt ein Fehler, dir so viel von dieser Mordserie zu erzählen. Dieser ganze Mist ist nun in deinem Kopf, dann kommt die Nacht, du bist allein, und die Phantasie hat freien Lauf. Du siehst einfach Gespenster!«
»Kann sein. Vielleicht habe ich mich geirrt.« Sie zuckte zurück, als Harris nach ihrer Hand greifen wollte.
»Was hast du?«, fragte er.
Alexandra legte ihr harmlosestes Lächeln auf. »Entschuldige, ich bin total überspannt.«
»Würde es dir helfen, wenn wir zusammen hochgehen? Dann kannst du dich selbst noch mal davon überzeugen, dass da wirklich niemand ist.«
»Jetzt kann da oben niemand sein«, dachte Alexandra, willigte aber, um ihn nicht gegen sich aufzubringen, ein. Harris griff wieder nach ihrer Hand. Dieses Mal ließ sie es geschehen, auch wenn ihr die Berührung kalte Schauer über den Rücken jagte. Er zog sie die Stufen nach oben und blieb vor der Treppe zum Dachboden stehen.
»Wo ist der Schlüssel?«, fragte er und deutete auf das dicke Vorhängeschloss. Alexandra tastete an ihrer Hose. »Eigentlich müsste … Moment, ich glaube, er hängt am Nagel neben der Eingangstür.«
»Ich hol ihn, warte hier!«, sagte Harris und rannte die Treppe hinunter. »Hier hängen fünf! Welcher ist es?«, hörte sie ihn rufen.
»Der kleinste.«
»Ist nicht hier, das sind alles alte Türschlüssel.«
»Dann sieh in der Küche nach! Wahrscheinlich liegt er dort auf dem Tisch.«
Erst als sie seine Schritte den Flur entlang in Richtung Küche hörte, lief sie los. Soweit sie sich erinnerte, gab es nur eine Tür, die abschließbar war. Die rote Tür zur Kammer! Vorsichtig hob sie den Türflügel etwas an, damit er nicht über den Boden schleifte, und öffnete ihn geräuschlos. Der modrige Geruch war abscheulich, aber auszuhalten. Alexandra tat einen vorsichtigen Schritt ins Innere und schloss dann leise die Tür hinter sich zu. Harris’ Schritte auf der Treppe übertönten das klickende Geräusch der alten Türverriegelung.
Alexandra ging in die Hocke, duckte sich unter das Schlüsselloch und rührte sich nicht.
»Alexandra? Hey, wo bist du?« Harris’ Schritte näherten sich, es klickte an der Nachbartür. »Alex?« Noch zwei Meter bis zu ihrer Tür!
Sie hielt den Atem an, als sich die Klinke direkt vor ihrer Nase nach unten bewegte. »Hm«, hörte sie Harris murmeln, dann lief er langsam die Treppe nach unten. »Alexandra!« War sein Tonfall bisher noch fragend, wurde er nun zunehmend ungehaltener. »Verdammt noch mal, wo bist du denn!« Endlose zehn Minuten hörte sie ihn unten im Haus herumlaufen, bis schließlich das erlösende Zuschlagen der Haustür
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