Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
schicken. Der Wind trug ein Hundebellen von irgendwoher, ein zweiter in der Nähe stimmte ein und brach kurz darauf in langgezogenes Heulen aus. »Ja toll«, flüsterte Alexandra, »fehlt noch das Käuzchen, und ich scheiß mir in die Hosen!« Das Einzige, was sie jetzt beruhigte, war das Gefühl, nur scheinbar allein zu sein, denn in Wirklichkeit waren, wenn sie Schneider vertrauen konnte, an die fünfzig Augenpaare auf sie gerichtet. Was sie nicht ahnen konnte, war, dass die wenigen Beamten sogar Mühe hatten, die Strecke durch den Wald flächendeckend zu überwachen, hier im Ort war sie also fast auf sich allein gestellt.
Alexandra zweifelte plötzlich daran, dass man einem so bedacht vorgehenden Mörder glaubhaft machen könnte, sie sei bei strömendem Regen wegen eines einsamen Essens mit dem Fahrrad unterwegs, aber Schneider war der Meinung, es wäre einen Versuch wert. Allzu schnell war Alexandra während des Gesprächs mit Schneider klargeworden, wie sehr dieser unter dem selbst auferlegten Erfolgsdruck litt, und so unsympathisch er ihr auch war, in dieser Situation tat er ihr beinahe leid. Ihrer Meinung nach war es das Manko jedes zu klein gewachsenen Mannes, dass er sich konstant zu behaupten versuchte, Angriffe jedweder Art persönlich nahm oder gar auf seine Größe bezog. Das, was sie jetzt tat, tat sie für Harris, und das Risiko lag auf allen Seiten.
Alexandra hatte inzwischen die Waldgrenze erreicht. Der schwache Schein ihrer Fahrradlampe erhellte notdürftig die nächsten zwei Meter, dahinter herrschte tiefschwarze Nacht. Hören konnte sie nichts. Der Regen prasselte laut auf die Baumkronen, und jede Bewegung ihres Kopfes unter der Kapuze verursachte ein raschelndes Geräusch. Sie war praktisch taub und in der Dunkelheit fast blind. Hätte ihr je einer vorausgesagt, dass sie sich eines Tages freiwillig in solch eine Situation begeben würde, sie hätte ihn für verrückt erklärt.Auf ihre Frage hin, woran sie denn einen potentiellen Angreifer erkennen könne, hatte Schneider erst geschwiegen, sie dann aber damit beruhigt, diese Angelegenheit einfach ihm zu überlassen. Sie würde keinen Meter unbeobachtet bleiben, und die Beamten würden eher zu früh als zu spät eingreifen, sollte sich ihr jemand nähern.
Unter anderen Umständen hätte sie das kurze Aufleuchten aus dem Unterholz zu ihrer rechten Seite in höchste Erregung versetzt, aber da es sich sicher nur um die Reflexion eines Blitzes auf etwas Metallischem an der Uniform eines Beamten handelte, fuhr sie weiter. Ein reichlicher Kilometer trennte sie noch von ihrem Haus, tausend Meter Furcht, die das Gewitter, welches sich jetzt unmittelbar über ihr austobte, noch verstärkte. Das Donnergrollen nahm mehr und mehr an Stärke zu, ohrenbetäubendes Krachen und Blitze im Sekundentakt. Alexandra wollte jetzt nur noch eins, den Weg so schnell wie möglich hinter sich bringen. Was ging es sie an, ob Beamte im strömenden Regen im Gebüsch hockten, ob die Aktion gelang oder nicht, schließlich bekamen sie es bezahlt. Alexandra hingegen war die Einzige, die für ihre Ängste lediglich ein Schulterklopfen ernten würde. Wenn dem so war, wie Schneider vermutete, und das Ganze zum Erfolg führen sollte, würde er allein dafür die Lorbeeren einstreichen. Eine Abfolge von Blitzen erhellte sekundenlang den Weg, lang genug, dass Alexandra die Gestalt in etwa fünfzig Metern Entfernung deutlich erkennen konnte. Es war so weit! Er war da! Plötzlich wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte, aber das Logischste war anzuhalten. Verunsichert sah Alexandra sich um. Natürlich war keiner der Polizisten zu sehen, aber sie mussten da sein, laut Schneiders Wort hinter jedem dritten Busch. Alexandra spürte, wie die Angst von ihr Besitz ergriff. Wie nah sollte sie ihn herankommen lassen? Hatten sie überhaupt darüber gesprochen? Ihr Kopf war leer, und je näher sie ihn kommen hörte, desto mehr manifestierte sich die Lähmungin ihren Beinen. Sie konnte jetzt deutlich hören, wie die Stiefelschäfte gegen seine Waden schlugen. Jeder, der einmal zu große Gummistiefel getragen hatte, kannte dieses Geräusch. Der nächste Blitz ließ sie unterdrückt aufschreien. Die Gestalt war nun keine fünf Meter mehr entfernt. Nah, viel zu nah! Wann würde die Polizei endlich eingreifen? Wenn er sein Messer gezogen hatte? Wo war Harris? Vielleicht war sie doch allein! Hatte sie sich etwa im Tag geirrt, und die Aktion war eigentlich für den nächsten Abend geplant? Was in aller
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