Nachts
sie zu nehmen, und sie seine trockene Reptilienhaut berühren mußte, aber sie wußte, wußte irgendwie, daß er genau das machen würde, und sie sah auf und spürte, wie ihr strahlendes und fröhliches LaVerdiere’sLächeln ihre Gesichtsmuskeln zu einer Art stummem Schrei verzerrte, und sie versuchte, sich darauf vorzubereiten und sagte sich, es würde das letzte sein, und sie mußte nicht auf das Bild achten, das ihr dummer Verstand ihr immer wieder zeigte, das Bild, wie diese trockene Hand plötzlich zupackte und ihre ergriff mit den Krallen eines uralten Vogels, nicht einmal eines Raubvogels, nein, nicht einmal das, sondern eines Aasfressers; sie sagte sich, daß sie dieses Bild nicht sah, absolut NICHT, und sie sah es trotzdem und schaute auf, während das Lächeln immer noch so schrill von ihrem Gesicht schrie wie ein kreischender MörderSchrei in einer heißen, stillen Nacht, und der Laden war leer.
Pop war fort.
Er war gegangen, während sie das Wechselgeld gesucht hatte.
Molly fing am ganzen Körper an zu zittern. Wenn sie noch einen konkreten Beweis gebraucht hätte, daß der alte Tattergreis nicht alle Tassen im Schrank hatte das war er. Das war ein eindeutiger, ein unumstößlicher Beweis, ein Beweis reinsten Wassers: denn zum erstenmal, seit sie sich erinnern konnte (und sie wäre jede Wette eingegangen, daß das auf jeden in der Stadt zutraf, und hätte diese Wette gewonnen), hatte Pop Merrill, der nicht einmal Trinkgeld gab, wenn er in einem Restaurant essen mußte, das keinen Mitnahmeservice hatte, ein Geschäft verlassen, ohne auf sein Kleingeld zu warten.
Molly versuchte, die Hand aufzumachen und die vier Einser, das Fünfcentstück und die fünf Pennies loszulassen. Sie stellte zu ihrer Verblüffung fest, daß sie es nicht konnte. Sie mußte mit der anderen Hand herübergreifen und die Finger aufbiegen. Pops Wechselgeld fiel klirrend auf die Glasscheibe des Tresens, und sie fegte es auf die Seite, weil sie es nicht anfassen wollte.
Und sie wollte Pop Merrill nie wiedersehen.
Kapitel Fünfzehn
Pops leerer Blick veränderte sich nicht, als er LaVerdiere’s verließ.
Er veränderte sich nicht, als er mit den Filmkartons in der Hand über den Gehweg ging. Er veränderte sich und wurde zu einem Ausdruck irgendwie beunruhigender Aufmerksamkeit, als Pop vom Bordstein in den Rinnstein trat und dort mit einem Fuß auf dem Gehweg und dem anderen in den Abfallhalden ausgetretener Zigarettenkippen und zusammengeknüllter KartoffelchipPackungen stehenblieb. Hier war wieder ein Pop, den Molly nicht gekannt hätte, aber mancher, der von dem alten Mann geneppt worden war, hätte ihn bestens gekannt. Das war weder Merrill, der Lustmolch, noch Merrill, der Roboter, sondern Merrill, das Tier in voller Blüte.
Auf einmal war er auf eine Weise da, die er in der Öffentlichkeit äußerst selten zur Schau stellte. Soviel seiner eigenen Persönlichkeit in der Öffentlichkeit zu zeigen, war nach Pops Meinung nicht gut. Aber an diesem Morgen hatte er kaum Gewalt über sich, und es wäre ohnedies niemand dagewesen, der ihn sehen konnte. Falls doch, hätte der oder die Betreffende weder Pop, den leutseligen ScharlatanPhilosophen, noch Pop, den gerissenen Händler, gesehen, sondern so etwas wie die Seele des Mannes. In diesem Augenblick des völligen DaSeins, sah Pop selbst wie ein böser Hund aus, ein Streuner, der zum Räuber geworden ist und gerade während eines mitternächtlichen Gemetzels im Hühnerhaus innehält, die Zottelohren aufgestellt, den Kopf schiefgelegt, die blutverschmierten Zähne ein wenig sichtbar, als er ein Geräusch aus dem Haus des Farmers hört und an die Schrotflinte denkt, deren Doppelmündung wie eine liegende Acht aussieht. Der Hund weiß nichts von Achtern, aber selbst ein Hund ist imstande, das düstere Symbol der Unendlichkeit zu erkennen, wenn seine Instinkte scharf genug sind.
Auf der anderen Seite des Town Square konnte er die uringelbe Fassade des Emporium Galorium sehen, das ein wenig abseits der Nachbarhäuser stand: das leerstehende Gebäude, in dem bis Anfang dieses Jahres The Village Washtub untergebracht gewesen war, Nan’s Luncheonette sowie You Sew and Sew, das Nähgeschäft, das Evvie Chalmers’ Ururenkelin Polly gehörte einer Frau, von der wir ein andermal sprechen müssen.
Vor sämtlichen Geschäften der Lower Main Street waren schräge Parkplätze angelegt, und alle waren leer bis auf einen, auf dem gerade ein Ford Kombi hielt, den Pop kannte. Das leise Dröhnen
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