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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der jüngsten Ausgabe Ihres Katalogs für Haushaltartikel (d. i. Sommer 1850) habe ich einen Artikel mit der Bezeichnung Rattengift gefunden. Ich möchte eine (1) 5-Pfund-Dose dieses Präparats zu dem angegebenen Preis von dreißig Cent ($ 0,30) erwerben. Rückporto füge ich bei. Bitte schicken Sie das Gewünschte an: Calvin McCann, Chapelwaite, Preacher’s Corners, Cumberland County, Maine.
    Ich bedanke mich im voraus und verbleibe hochachtungsvoll Ihr Calvin McCann.

    19. Oktober 1850

    Lieber Bones,
    Entwicklungen von beunruhigender Natur!
    Die Geräusche im Haus sind lauter geworden, und ich komme immer mehr zu dem Schluß, daß es keine Ratten sind, die innerhalb unserer Mauern hin- und herhuschen. Calvin und ich haben uns erneut auf die Suche nach verborgenen Schlupfwinkeln oder Gänge gemacht, aber nichts gefunden.
    Welch jämmerliche Figuren wir in einem von Mrs. Radcliffs Abenteuerromanen abgeben würden! Cal ist der Meinung, daß die Geräusche zum großen Teil aus dem Keller kommen, den wir aus diesem Grund morgen erforschen wollen. Das Wissen um die Tatsache, daß Cousin Stephens Schwester dort ihr unglückliches Ende fand, macht das Unternehmen nicht gerade angenehmer.
    Ihr Porträt hängt übrigens in der oberen Galerie. Marcella Boone war nicht gerade eine Schönheit, wenn der Künstler sie richtig getroffen hat, und mir ist bekannt, daß sie nie geheiratet hat. Manchmal glaube ich, daß Mrs. Cloris recht hatte und dies wirklich ein schlechtes Haus ist. Gewiß hat es seinen früheren Einwohnern nichts Gutes gebracht.
    Aber ich habe Dir noch mehr von unserer Mrs. Cloris zu berichten, denn ich habe heute ein zweitesmal mit ihr gesprochen. Da sie die vernünftigste Person ist, der ich bisher in Preacher’s Corners begegnet bin, habe ich sie heute nachmittag, nach einer unerfreulichen Begegnung, auf die ich gleich kommen werde, aufgesucht.
    Das Holz sollte heute morgen geliefert werden, und als der Mittag kam und ging und es immer noch nicht da war, beschloß ich, meinen täglichen Spaziergang diesmal in den Ort zu machen. Mein Ziel war Thompson, der Mann, mit dem Cal das Geschäft abgeschlossen hatte.
    Der heutige Tag war sonnig, die Luft erfüllt von der Frische eines strahlenden Herbsttages, und als ich Thompsons Gehöft erreichte (Cal, der zu Hause geblieben war, um weiter in Cousin Stephens Bibliothek herumzustöbern, hatte mir erklärt, wie ich dorthin kam), befand ich mich in der besten Laune, die die letzten Tage erlebt haben und war durchaus gewillt, Thompsons Unpünktlichkeit mit der Lieferung des Holzes zu verzeihen.
    Das Gehöft war ein wildes Durcheinander aus Unkraut und halb verfallenen Gebäuden, die dringend eines neuen Anstrichs bedurft hätten: links von der Scheune grunzte ein enormes Schwein, das auf das Novemberschlachten wartete, und wälzte sich in einem schlammigen Pfuhl, und in dem schmutzigen Hof zwischen dem Wohnhaus und den Außengebäuden fütterte eine Frau in einem zerlumpten Gingankleid aus ihrer Schürze die Hühner. Als ich sie grüßte, drehte sie ihr blasses und ausdrucksloses Gesicht zu mir herum.
    Die plötzliche Veränderung, die in ihrem Gesicht vorging, war erstaunlich; ihr Ausdruck wechselte von völliger, dummer Leere zu wildem Entsetzen. Ich kann mir nur vorstellen, daß sie mich für Stephen gehalten hat, denn sie hob die Hand, die Finger im Zeichen des bösen Blicks gespreizt, und stieß einen Schrei aus. Das Hühnerfutter fiel zu Boden, und die Hennen suchten gackernd das Weite.
    Bevor ich auch nur einen Ton von mir geben konnte, kam ein Bär von einem Mann, der nichts weiter als Unterkleider am Leibe trug, mit einem Kleinkalibergewehr in der einen und einem Krug in der anderen Hand aus dem Haus gepoltert. Dem roten Licht in seinen Augen und seinem schwankenden Gang nach zu urteilen, hatte ich hier Thompson den Holzfäller in eigener Person vor mir.
    »Ein Boone«, brüllte er. »Gott verfluche deine Augen!« Er ließ den Krug fallen, der davonrollte, und machte das Zeichen.
    »Ich bin gekommen«, begann ich mit soviel Gleichmut, wie ich unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte, »weil das Holz ausgeblieben ist. Laut der Abmachung, die Sie mit meinem Mann getroffen haben …«
    »Gott verfluche auch deinen Mann, sage ich!« Erst jetzt bemerkte ich, daß er sich unter seinem lauten, polternden Gehabe zu Tode fürchtete. Ich begann mich ernsthaft zu fragen, ob er in seiner Aufregung nicht vielleicht tatsächlich auf mich schießen

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