Nachtschicht
erledigt. So tot wie ein Fernseher, bei dem man den Stecker rausgezogen hat. Und der Erfolg wird sein, daß der Krebs in ihrem Bauch keine Chance mehr hat, sie zu quälen.
Der Gedanke an diese Operation ist ihm noch unangenehmer als der an Zäpfchen, die in der Wärme des Mastdarms schmelzen. Sie erinnert ihn an ein Buch von Michael Crichton mit dem Titel »Der Computer-Mann«, das davon handelt, wie Drähte in die Köpfe von Menschen gesteckt werden. Eine verdammt ekelhafte Sache, wenn man sich vorstellt, daß so was wirklich passieren könnte.
Auf der dritten Etage geht die Tür des Fahrstuhls auf, und er steigt aus. Dies ist der alte Hügel des Krankenhauses. Der Geruch hier erinnert ihn immer wieder an Jahrmärkte in der Provinz, wo man Haufen von Erbrochenem mit einer Art süßlich riechendem Sägemehl abdeckt. Die Pillen liegen unten im Auto. Im Handschuhfach. Getrunken hat er. heute nichts.
Hier oben sind die Wände in zwei Farben gestrichen: unten braun, oben weiß. Er kann sich keine deprimierendere Farb-kombination vorstellen, außer vielleicht rosa und schwarz.
Vor dem Fahrstuhl treffen zwei Flure in T-Form aufeinander.
Dort steht ein Trinkbrunnen, an dem er sich immer ein bißchen aufhält, um den Besuch noch etwas hinauszuschieben. Hier und da stehen Krankenhausgeräte wie Spielzeug auf einem Kinderspielplatz. Eine Bahre auf Gummirädern mit verchrom-ten Seitenteilen. Mit einem solchen Ding fahren sie dich zum OP, wenn sie dir deine »Cortotomie« machen. Dann ist da noch dieser große runde Apparat, dessen Verwendungszweck ihm unklar ist. Er sieht aus wie ein Laufrad in einem Eichhörnchenkäfig. Daneben ein Gestell auf Rädern, an dem oben zwei Flaschen hängen, wie ein Titten-Traum von Salvador Dali. Am Ende des einen Korridors ist die Schwesternstation, aus der Kaffeeduft und Gelächter zu ihm dringt.
Er nimmt seinen Schluck Wasser aus dem Brunnen und geht langsam auf das Zimmer zu. Er fürchtet sich vor dem, was ihn erwartet, und er hofft, daß sie schläft. Dann wird er sie nicht wecken.
Über jeder Tür ist eine kleine rote Lampe, die aufleuchtet, wenn ein Kranker nach der Schwester klingelt. Patienten gehen langsam den Flur auf und ab. Sie tragen über der Krankenhausunterwäsche den billigen Anstaltskittel. Er ist blauweiß gestreift und hat einen runden Kragen. Die Unterhose wird »Johnny« genannt.
Es ist eine Art knielanger Schlüpfer, und besonders die Männer sehen ausgesprochen komisch darin aus. An den Füßen tragen die meisten Männer braune Slipper aus Lederimitation, die Frauen gestrickte Pantöffelchen mit runden Wollpompons darauf. Seine Mutter hat auch ein Paar davon. Sie nennt sie ihre »Mulis«.
Die Patienten erinnern ihn an den Horrorfilm Die Nacht der lebenden Toten.
Sie bewegen sich so langsam und vorsichtig, daß man glaubt, jemand hätte die Verschlüsse ihrer inneren Organe abgeschraubt, und die Flüssigkeit würde in ihnen umherschwappen. Einige stützen sich auf Stöcke. Diese bedächtige Promenade in den Gängen kommt ihm ziemlich unheimlich vor, aber sie ist nicht ohne Würde. Es ist der Gang von Menschen, die langsam ins Nichts gehen. So schreiten Universitätsstudenten gemessen zur Promotionsfeier.
Aus Transistorradios strömt ektoplasmische Musik. Leute reden. Er hört Black Oak Arkansas »Jim Dandy« singen. (»Go Jim Dandy, go Jim Dandy!« kreischt eine fröhliche Falsett-stimme über den langsamen Spaziergängern.) Er hört einen Talk-Master in säuerlichem Ton über Nixon reden. Er hört eine Polka mit französischem Text - in Lewiston wird immer noch französisch gesprochen, und die Leute lieben ihre französischen Tänze und Lieder fast so sehr, wie sie es lieben, sich in den Bars in der unteren Lisbon Street zu schneiden.
Vor dem Zimmer seiner Mutter bleibt er stehen und eine Zeitlang war er so haltlos gewesen, daß er sich betrank, bevor er herkam, und obwohl sie so mit Betäubungsmitteln vollgepumpt war, daß sie es gar nicht merken konnte, hatte er sich deswegen geschämt. Sie spritzten ihr Elavil. Das ist ein Beruhigungsmittel speziell für Krebskranke, damit sie vergessen, daß sie im Sterben liegen.
Er hatte nachmittags immer zwei Sechserpackungen Black Label Bier bei Sonnys gekauft und dann mit den Kindern ferngesehen. Drei Dosen bei Sesamstraße, zwei Dosen für Mr. Rogers, eine mit Electric Company. Dann eine zum Essen.
Die restlichen fünf Dosen packte er ins Auto. Von Raymond nach Lewiston sind es zweiundzwanzig Meilen, und wenn er
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