Nachtschicht
während der Arbeit im Sägewerk in Clifton konnte er damit umgehen. Dann hatte Richie einen Arbeitsunfall. Er verhob sich an einer zu schweren Ladung. Vielleicht hat er es auch nur so dargestellt.
Jedenfalls brauchte er nicht mehr zu arbeiten, und das Sägewerk zahlte Am eine Rente. Er hatte was am Rücken. Und er wurde immer fetter. Er war lange nicht hiergewesen. Ich hatte allerdings gelegentlich seinen Sohn gesehen, wenn er für seinen Vater den täglichen Kasten Bier holte. Ein netter Junge. Henry verkaufte ihm das Bier natürlich, denn er wußte, daß der Junge ja nur tat, was sein Vater sagte.
»Natürlich ist Daddy wieder besoffen«, hörte ich den Jungen sagen, »aber darum geht es gar nicht. Es ist … es ist … oh mein Gott, es ist so entsetzlich.«
Henry merkte, daß der Bengel anfing zu heulen. Deshalb sagte er schnell: »Carl, kannst du einen Augenblick aufpassen?«
»Gern.«
»So, Timmy, jetzt komm mal mit ins Lager und erzähl mir, was los ist.«
Er ging mit dem Jungen weg, und Carl stellte sich hinter den Tresen. Nach einer Weile setzte er sich auf Henrys Schemel.
Eine Zeitlang schwiegen alle. Wir hörten sie hinten sprechen, Henrys tiefe bedächtige Stimme und Timmy Grenadines hellen Sopran. Der Junge sprach sehr schnell. Dann fing er an zu weinen. Bill Pelham räusperte sich und stopfte seine Pfeife.
»Ich habe Richie ein paar Monate nicht gesehen«, sagte ich.
»Kein großer Verlust«, brummte Bill.
»Zuletzt war er … ja, Ende Oktober war er hier«, sagte Carl.
»Kurz vor Allerheiligen. Kaufte einen Kasten Schlitz-Bier. Mein Gott, war der Kerl fett geworden!«
Viel mehr war nicht zu sagen. Der Junge weinte immer noch, aber gleichzeitig redete er. Draußen heulte der Wind, und im Radio wurde wieder Schnee angesagt. Bis morgen früh etwa fünfzehn Zentimeter. Es war Mitte Januar, und ich fragte mich, wer überhaupt Richie seit Ende Oktober gesehen hatte - abgesehen von seinem Sohn natürlich.
Sie redeten noch eine ganze Weile, aber dann kamen Henry und der Junge wieder in den Laden. Der Junge hatte den Mantel abgelegt, aber Henry seihen angezogen. Der Junge wirkte erleichtert, als sei das Schlimmste für ihn vorbei, aber seine Augen waren gerötet, und wenn er einen ansah, schlug er sofort die Augen nieder.
Henry wirkte besorgt. »Ich denke, ich schicke Timmy nach oben. Meine Frau kann ihm einen Käsetoast machen oder sonstwas. Ein paar von euch können vielleicht zu Richies Wohnung mitkommen. Timmy sagt, er braucht Bier. Das Geld hat er mir schon gegeben.« Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz. Er gab es auf.
»Klar«, sagte Bertie. »Was für Bier? Ich hole es.«
»Nimm Harrow-Supreme«, sagte Henry. »Steht links hinten.«
Auch ich stand auf. Bertie und ich würden wohl mitgehen.
Carls Arthritis machte ihm besonders an kalten Tagen zu schaffen, und Billy Pelham kann seinen rechten Arm nicht mehr so recht gebrauchen.
Bertie brachte vier Sechserpacks Harrow, und ich verstaute sie in einem Karton, während Henry den Jungen nach oben in die Wohnung brachte.
Er machte alles mit seiner Alten klar und kam wieder runter.
Er sah sich noch einmal um, ob die Tür nach oben dicht war.
Billy meldete sich zu Wort. »Was ist los? Hat er den Jungen schon wieder verprügelt?«
»Nein«, sagte Henry. »Ich werde euch vorläufig nichts erzählen, sonst haltet ihr mich für verrückt, aber ich werde euch etwas zeigen. Das Geld, mit dem Timmy das Bier bezahlt hat.«
Er zog vier Dollarnoten aus der Tasche und hielt sie an den Ecken fest. Die Scheine waren mit grauem Schleim bedeckt, ähnlich wie die obere Schicht, wenn man eine vergammelte Konserve öffnet. Er legte sie auf den Tresen und lächelte komisch. Dann sagte er zu Carl: »Niemand darf sie anfassen. Schon gar nicht, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was das Kind mir erzählt hat!«
Und er ging an die Spüle neben der Fleischtheke und wusch sich die Hände.
Ich stand auf, zog mir meine warme Jacke an und knöpfte sie zu. Es hatte keinen Zweck, einen Wagen zu nehmen. Richie wohnte in einem Block in der Curve Street. Nicht weit, aber ein wenig abseits. Die Schneepflüge konnten dort noch nicht gewesen sein.
Als wir hinausgingen, rief Bill Pelham uns nach: »Seid bloß vorsichtig.«
Henry nickte nur und stellte den Karton Bier auf den kleinen Handkarren, der immer neben der Tür stand. Dann marschierten wir los.
Mit aller Wucht schlug uns der eisige Wind ins Gesicht, und ich wickelte mir sofort den
Weitere Kostenlose Bücher