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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihn nicht im anderen Zimmer schlafen lassen. Ich hatte Angst, nach dem, was mit Denny und Shirl passiert war.«
    »Aber Sie taten es doch?« fragte Dr. Harper.
    Wieder Schweigen. Billings kämpfte mit sich.
    »Ich mußte es!« brüllte er endlich. »Ich mußte es! Es war alles in Ordnung, als Rita noch da war, aber als sie weg war, wurde es immer frecher. Es fing an …« Augenrollend sah er Harper an und fletschte die Zähne zu einem bösen Grinsen. »Ach, Sie glauben es ja doch nicht. Ich weiß, was Sie denken. Sie halten mich für verrückt. Für Sie bin ich nur ein weiterer Fall in Ihrer Kartei. Das weiß ich, aber Sie waren ja nicht dabei, Sie widerlicher, arroganter Seelenschnüffler.
    Einmal flogen nachts alle Türen im Haus weit auf, und eines morgens fand ich eine Dreckspur quer durch den Flur, vom Kleiderschrank bis zur Haustür. War es verschwunden? War es gekommen? Ich weiß es nicht! Bei Gott, ich weiß es einfach nicht! Alle Schallplatten waren zerkratzt und mit Schleim bedeckt, die Spiegel zerbrochen … und die Geräusche … die Geräusche …«
    Er fuhr sich mit der Hand, durch das Haar. »Man wacht morgens um drei auf und starrt in die Dunkelheit und sagt sich:
    ›Es ist nur die Uhr.‹ Aber dann hört man neben dem Geräusch, daß sich etwas leise bewegt. Aber ganz leise auch wieder nicht, denn es will ja, daß man es hört. Ein schleimiges gleitendes Geräusch, wie von Klauen, die sich über das Treppengeländer schieben. Und man schließt die Augen und weiß: Es ist schlimm genug, es zu hören, aber es zu sehen …
    Und immer hat man Angst, daß das Geräusch plötzlich aufhört, daß es über einem lacht, daß man einen Lufthauch wie von verfaultem Kohl ins Gesicht bekommt, daß sich einem Hände um die Kehle legen.«
    Billings war leichenblaß. Er zitterte.
    »Ich brachte ihn also in das andere Zimmer. Ich wußte, daß es ihn holen würde, denn er war schwächer. Und das tat es auch. Gleich in der ersten Nacht hörte ich ihn laut kreischen, und als ich zu ihm hineinlief, stand er im Bett und schrie: 
    ›Schreckgespenst, Daddy … Schreckgespenst … will mit Daddy gehen, will mit Daddy gehen‹.« BilÜngs’ Stimme klang hoch und schrill wie die eines Kindes. Sein Gesicht bestand nur noch aus Augen. Er schien auf der Couch zusammenzuschrumpfen.
    »Aber ich nahm ihn nicht mit«, fuhr er mit seiner Kinder-stimme fort. »Das konnte ich nicht tun. Und eine Stunde später wieder ein Schrei. Ein entsetzlicher, gurgelnder Schrei. In diesem Augenblick wußte ich, wie sehr ich ihn liebte. Ich machte nicht einmal Licht, ich rannte los. Und, o mein Gott, es hatte ihn. Es schüttelte ihn, schüttelte ihn, wie ein Terrier einen alten Lappen schüttelt. Und ich sah etwas mit gräßlichen abfallenden Schultern und dem Kopf einer Vogelscheuche, und ein Gestank wie nach toten Mäusen hing in der Luft. Und ich hörte …«
    Seine Stimme verlor sich, und als er weitersprach, nahm sie wieder den Tonfall eines Erwachsenen an. »Ich hörte, wie Andys Genick brach.« Billings’ Stimme war kalt und tot. »Es war ein Geräusch, als ob Eis knackt, wenn man im Winter auf einem Teich schlittschuhläuft.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich rannte weg«, sagte Billings mit derselben kalten und toten Stimme. »Wenn das keine Feigheit war. Ich rannte zu einem Imbiß, der die ganze Nacht geöffnet ist, und trank sechs Tassen Kaffee. Dann ging ich nach Hause. Es dämmerte schon.
    Noch bevor ich nach oben ging, rief ich die Polizei an. Er lag auf dem Fußboden und starrte mich an. Eine einzige Anklage. Aus einem Ohr war etwas Blut gelaufen. Eigentlich nur ein Tropfen.
    Und die Schranktür war offen - aber nur einen Spalt.«
    Er schwieg. Harper schaute auf die Digitaluhr. Fünfzig Minuten waren vergangen.
    »Lassen Sie sich von der Schwester einen Termin geben«, sagte er. »Besser mehrere. Dienstags und donnerstags?«
    »Ich wollte Ihnen nur meine Geschichte erzählen«, sagte Billings. »Ich mußte es mir von der Seele reden. Die Polizei hab ich belogen, wissen Sie. Ich habe ihnen erzählt, daß er versucht haben muß, nachts aus dem Bett zu klettern … und sie schluckten es. Warum auch nicht, denn es sah doch ganz so aus. Ein Unfall wie bei den anderen. Aber Rita wußte es. Rita … wußte … es.«
    Er hielt sich den rechten Arm vor die Augen und fing an zu weinen.
    »Mr. Billings, wir müssen uns noch über vieles unterhalten«, sagte Dr. Harper nach einer Weile. »Ich glaube, wir können Sie - von Ihren

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