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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Decke wieder vor das Gesicht und brüllte den Jungen an, er solle das Licht ausmachen.«
    »Wie Schwamm«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Henry. »So ungefähr.«
    »Mach die Pistole klar«, sagte Bertie.
    »Ja, das ist wohl besser«, sagte Henry, und wir gingen die Curye Street hinunter.
    Das Etagenhaus, in dem Richte Grenadine seine Wohnung hatte, lag fast ganz oben am Hügel. Es war eine dieser viktorianischen Scheußlichkeiten, die um die Jahrhundertwende von den Papierbaronen errichtet wurden. Sie wurden fast alle später zu Mehrfamilienhäusern umgebaut. Als Bertie Luft geholt hatte, sagte er uns, daß Richie im dritten Stock unter dem Fenstergiebel wohnt, der wie eine Augenbraue vorsteht. Bei der Gelegenheit fragte ich Henry, was denn mit dem Jungen geschehen sei.
    Etwa in der dritten Novemberwoche kam der Junge eines Nachmittags nach Hause und stellte fest, daß nicht nur die Vorhänge zugezogen waren. Darüber hinaus hatte Richie vor sämtliche Fenster Wolldecken genagelt. Es stank schlimmer als je zuvor. Es war ein saurer Gestank, ähnlich dem von Obst, das man mit Hefe gären läßt.
    Ungefähr eine Woche später befahl Richie dem Jungen, das Bier auf dem Herd wannzumachen. Könnt ihr euch das vorstellen? Das Kind ganz allein in der Wohnung, und sein Vater verwandelt sich in … nun, in irgend etwas … und er muß das Bier anwärmen, und muß dann zuhören, wie er es trinkt - hört die widerlichen, erstickten schlürfenden Geräusche. Ganz wie bei einem alten Mann, der seinen Fischbrei ißt. Könnt ihr euch das vorstellen?
    Und so ging es bis heute. Nur heute war die Schule wegen des Schneesturms früher aus.
    »Der Junge behauptet, daß er gleich nach Hause gegangen sei«, sagt Henry. »Oben im Treppenhaus brannte kein Licht. Der Junge meint, daß sein Vater die Birne zerschlagen haben muß. Er mußte sich bis an die Tür vortasten. Er hört, daß sich drinnen etwas bewegt, und plötzlich fällt ihm ein, daß er ja gar nicht weiß, was sein Vater die Woche über treibt. Er hat seit einem Monat nicht mehr gesehen, daß sein Vater aus diesem Stuhl aufsteht, und ein Mensch muß doch auch schlafen und manchmal zur Toilette gehen. Mitten in der Tür ist ein Guckloch, und innen müßte es eine Klappe haben, mit der man es verschließen kann, aber die war schon abgebrochen, als sie einzogen. Der Junge schleicht sich also zur Tür und legt das Auge an das Guckloch.«
    Wir hatten inzwischen den Eingang erreicht, und das Haus ragte vor uns auf wie ein riesiges häßliches Gesicht mit den Fenstern im dritten Stock als Augen. Ich schaute nach oben, und richtig, die Fenster waren pechschwarz, als hätte jemand sie übermalt - oder Decken davorgenagelt.
    »Er brauchte eine Minute, um seine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Und dann sah er einen großen dicken Klumpen, der überhaupt nicht mehr wie ein Mensch aussah, über den Fußboden gleiten, wobei er eine graue schleimige Spur runter sich herzog. Und dann streckte der Klumpen den Arm aus - oder etwas Ähnliches wie einen Arm - und riß ein Brett aus der Wand. Und holte eine Katze heraus.« Henry schwieg ein paar Sekunden. Bertie schlug die Hände aneinander, und es war verdammt kalt auf der Straße, aber keiner von uns war bereit, jetzt schon hinaufzugehen. »Eine tote Katze«, fuhr Henry fort, »die schon verwest war. Sie war ganz aufgedunsen und steif, sagt der Junge, und kleine weiße Dinger krochen auf ihr herum …«
    »Um Gottes willen«, sagte Bertie. »Aufhören!«
    »Und dann aß sein Daddy sie.«
    Ich mußte schlucken, aber ich hatte einen Kloß im Hals und einen ekelhaften Geschmack im Mund.
    »Timmy nahm das Auge vom Guckloch«, sagte Henry leise.
    »Und er rannte.«
    »Ich glaube nicht, daß ich raufgehen kann«, sagte Bertie.
    Henry sagte nichts. Er sah Bertie nur an, dann mich und dann wieder Bertie.
    »Wir sollten raufgehen«, sagte ich. »Schließlich haben wir Richies Bier.«
    Bertie sagte nichts. Wir gingen die Stufen hoch und durch die Eingangstür. Ich roch es sofort.
    Wissen Sie, wie eine Obstbrennerei im Sommer riecht? Man erkennt dabei nie den Geruch von Äpfeln. Im Herbst ist es besser. Dann riechen sie scharf und würzig, und der Geruch sticht einem in die Nase. Aber im Sommer riecht es ganz einfach gemein. Dieser Geruch war genauso, nur noch schlimmer.
    Im unteren Treppenhaus gab es Licht, eine trübe Birne unter Milchglas, die nur schwach schimmerte. Und dann die Treppe, die in die Schatten hinaufführte.
    Henry stellte den Karren

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