Nachtschicht
ab, und während er den Karton mit Bier aufnahm, drückte ich auf den Knopf für das Licht im zweiten Stock. Aber die Birne war kaputt, wie der Junge gesagt hatte.
Bertie zitterte. »Ich trage das Bier. Kümmere du dich um deine Pistole.«
Henry machte keine Einwände. Er reichte ihm den Karton, und wir gingen nach oben. Zuerst Henry, dann ich, und als letzter Bertie mit dem Karton unter dem Arm. Als wir im zweiten Stock angekommen waren, stank es entsprechend schlimmer. Nach faulen, gegorenen Äpfeln, und in das Ganze mischte sich ein noch widerwärtigerer Gestank.
Als ich noch draußen in Levant wohnte, hatte ich mal einen Hund. Er hieß Rex und war ein gutmütiger Trottel, aber er nahm sich nicht genügend vor den Autos in acht. An einem Nachmittag, als ich noch arbeitete, erwischte es ihn. Er kroch unter das Haus und starb dort. Mein Gott, was für ein Gestank.
Ich mußte zuletzt runter und ihn mit einer Stange rausholen.
Hier stank es genauso, nach Aas und Verwesung.
Bis dahin hatte ich noch gedacht, daß das alles ein schlechter Witz sein könnte, aber jetzt wußte ich es besser.
»Mein Gott, warum beschweren sich die Nachbarn denn nicht?« fragte ich.
»Welche Nachbarn?« fragte Henry zurück, und wieder lächelte er dieses seltsame Lächeln.
Ich schaute mich um und sah, daß das Treppenhaus einen dreckigen und unbenutzten Eindruck machte. Die Türen zu allen drei Wohnungen im zweiten Stock waren versiegelt.
»Wer mag wohl der Eigentümer sein?« fragte Bertie und stellte seinen Karton auf einem Treppenpfosten ab. Er holte tief Luft. »Vielleicht Gaiteau? Ich bin erstaunt, daß er ihn nicht rausschmeißt.«
»Wer sollte denn raufgehen und ihn zur Räumung zwingen?« fragte Henry. »Du etwa?«
Bertie sagte nichts.
Dann gingen wir die nächste Treppe hinauf, die noch schmaler und steiler als die letzte war. Gleichzeitig wurde es heißer.
Es hörte sich an, als ob die gesamte Klimaanlage in dem Gebäude klapperte und zischte. Der Gestank war entsetzlich, und ich hatte das Gefühl, als rührte mir jemand mit einem Stock im Magen herum.
Oben war ein kurzer Flur und eine Tür mit einem Guckloch in der Mitte.
Bertie schrie leise auf und flüsterte: »Seht nur, worin wir gehen!«
Ich schaute nach unten und sah, daß sich kleine Pfützen von diesem schleimigen Zeug gebildet hatten. Hier schien früher ein Teppich gewesen zu sein, aber das graue Zeug hatte ihn weggefressen.
Henry trat an die Tür, und wir folgten ihm. Ich weiß nicht, wie es Bertie erging, aber ich schlotterte. Ohne zu zögern, hob Henry seine Waffe und schlug mit dem Griff gegen die Tür.
»Richie?« rief er, und seine Stimme verriet nicht die geringste Angst, obwohl sein Gesicht leichenblaß war. »Hier ist Henry Parmalee von der Nachteule. Ich bringe dir dein Bier.«
Etwa eine Minute lang hörten wir nichts, und dann sagte eine Stimme: »Wo ist Timmy? Wo ist mein Junge?«
Ich wäre fast jetzt schon weggelaufen. Die Stimme hatte nichts Menschliches. Sie klang tief und hohl, wie durch klebrigen Talg gesprochen.
»Er ist in meinem Laden«, sagte Henry, »und ißt gerade was Vernünftiges.. Bei dem armen Kerl kann man ja schon die Rippen zählen, Richie.«
Eine Weile nichts. Dann waren grauenhafte quietschende Geräusche zu hören, als liefe ein Mann mit Gummistiefeln durch Schlamm. Dann hörten wir diese verweste Stimme direkt hinter der Tür.
»Mach die Tür auf, und schieb das Bier durch«, sagte sie. »Du mußt aber alle Ringverschlüsse öffnen. Ich kann es nicht.«
»Sofort«, sagte Henry. »Wie ist dein Zustand, Richie?«
»Das spielt keine Rolle«, sagte die Stimme, und sie klang fürchterlich gierig.
»Schieb das Bier durch und verschwinde.«
»Es sind also nicht mehr nur tote Katzen, was?« sagte Henry, und seine Worte klangen traurig. Er hielt nicht mehr den Griff der Pistole hoch, sondern hatte die Waffe umgedreht.
Und plötzlich durchfuhr es mich wie ein Lichtblitz. Ich stellte eine Gedankenverbindung her, was Henry wahrscheinlich schon während seines Gesprächs mit Timmy gelungen war.
Den Gestank von Fäulnis und Verwesung empfand meine Nase doppelt so stark, als ich mich erinnerte: Zwei junge Mädchen und ein alter Weinsäufer von der Heilsarmee waren in den letzten drei Wochen verschwunden - alle nach Einbruch der Dunkelheit.
»Schiebe es rein, oder ich komme raus und hole es«, sagte die Stimme.
Henry bedeutete uns, zurückzutreten, und wir gehorchten.
»Das kannst du gern tun, Richie.« Er spannte
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