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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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einem Häufchen Asche, das zusammen mit den verkohlten Überresten des Couverts im Müllcontainer verschwand.
    Diesmal zeigte das Photo das Gesicht eines bläßlichen Geschäftsmannes aus Miami namens Hans Morris, Inhaber der Morris Spielwarenfabrik. Irgend jemandem war er anscheinend im Wege, und dieser Jemand hatte sich an die Organisation gewandt, die sich wiederum in der Person von Cal Bates mit ihm in Verbindung gesetzt hätte.
    Peng. Von Beileidsbezeugungen am Grabe bitten wir abzusehen.
    Lautlos glitt die Tür des Lifts zur Seite. Renshaw hob sein Paket auf und trat in den Gang hinaus. Dann öffnete er die Tür zu seiner Penthousewohnung und ging hinein. Es war drei Uhr nachmittags, und der große Wohnraum war überflutet vom hellen Licht der Aprilsonne. Er blieb einen Augenblick stehen, blinzelte, setzte dann sein Paket auf dem Couchtisch ab und lockerte den Knoten seiner Krawatte. Den Umschlag mit dem Geld legte er auf den Karton und ging hinüber zum Balkon.
    Er öffnete die verglaste Schiebetür und trat hinaus ins Freie.
    Trotz der Sonne war es kühl,, und ein schneidender Wind bohrte sich messerscharf durch den dünnen Stoff seines Trenchcoats. Dennoch blieb er eine Weile draußen stehen und ließ den Blick über die Stadt schweifen, mit der gleichen Selbstzufriedenheit und Genugtuung, wie sie ein General empfinden mochte, der nach gewonnener Schlacht auf das eroberte Land schaut. Wie ein Heer von Ameisen krabbelten die Autos unten in den Straßen, und im grellen Licht der Nachmittagssonne flimmerten die Konturen der Bay Bridge wie eine Fata Morgana am Horizont.
    Nach Osten hin erstreckten sich die metallenen Wipfel eines riesigen Antennenwaldes auf den Dächern der ärmlicheren, schmutzigeren Häuser, die hier und da von den kolossalen Wolkenkratzern der City verdeckt wurden. Hier oben aber war es schön, besser jedenfalls als unten in der Gosse.
    Nach einer Weile ging Renshaw zurück in die Wohnung und begab sich ins Bad, wo er lange und ausgiebig duschte.
    Als er vierzig Minuten später mit einem Glas Gin in der Hand auf der Couch saß und das Paket betrachtete, streckten bereits die ersten Schatten ihre langen Finger über den weinroten Teppichboden aus. Der schönste Teil des Nachmittags war vorüber.
    Eine Bombe. Natürlich war es keine, aber man mußte sich so verhalten, als wäre es zumindest möglich. Nur so hatte man die Garantie dafür, daß man am Leben blieb, während andere sich bereits auf dem Weg ins Reich des ewigen Müßiggangs befanden.
    Wenn es also eine Bombe wäre, dann hätte sie keinen Zeitzünder. Nicht das leiseste Ticken war zu hören in diesem geheimnisvollen Quader. Obwohl, heutzutage gab es Quarzuhren. Sie liefen zuverlässiger und weniger unberechenbar als die besten Uhrwerke von Westclox oder Big Ben.
    Renshaw warf einen Blick auf den Poststempel. Miami, 15. April. Das war vor fünf Tagen. Ein Zeitzünder war demnach auszuschließen. Er hätte bereits in der Aufbewahrung explodieren können.
    Ja. Miami … Und dann diese gestochene Handschrift …
    Hatte nicht auf dem Schreibtisch dieses bläßlichen Spielwaren-fabrikanten eine gerahmte Photographie gestanden, die eine noch hagerere, noch blassere Gestalt mit einem schmucklosen Kopftuch zeigte? Und hatte er nicht in der unteren rechten Ecke eine mit gestochener Handschrift gekritzelte Widmung gelesen? »Alles Liebe von deinem treuesten Mädchen - Mutter.«
    Was für einen Einfall hatte das treueste Mädchen da gehabt?
    Vielleicht ein selbstgebasteltes Killervernichtungsgerät? Mit verschränkten Armen und äußerster Konzentration saß Renshaw da und betrachtete das Paket. Die Frage, wie es Morris treuestem Mädchen beispielsweise gelungen war, seine Adresse ausfindig zu machen, stellte er zunächst zurück. Dergleichen Probleme waren jetzt zweitrangig und würden später immer noch gelöst werden können. Cal Bates würde sich eine Antwort einfallen lassen müssen. Im Augenblick war das nebensächlich.
    Mit einer fahrigen, beinahe motorischen Bewegung griff er in seine Westentasche und zog seinen kunststoffgebundenen Taschenkalender hervor. Er schob ihn zwischen Packpapier und Kordel, mit der der Karton verschnürt war. Mit dem scharfen Rand des Kalenders löste er das Klebeband, das die Papierlaschen an den Seiten hielt, bis sie absprangen und gegen die Kordel hingen.
    Dann hielt er einen Augenblick inne, tat einen tiefen Atemzug und wanderte um den Tisch herum. Kordel, Packpapier, Pappe. Sonst nichts.
    Draußen

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