Nachtschicht
möglich auseinander und legte dann das Stück mit dem Güterzug auf. Das Geräusch schwoll aus dem Nichts an, bis es den ganzen Raum mit dem rauhen Dröhnen von Dieselmotoren und dem metallischen Kreischen von Stahl auf Stahl erfüllte.
Wenn er die Augen schloß, konnte er sich fast vorstellen, er wäre unter der Broad Street-Bahnüberführung, auf die Knie heruntergedrückt, und sähe zu, wie das schreckliche Drama auf seinen unvermeidlichen Schluß hin ablief …
Er öffnete die Augen, nahm den Tonarm von der Platte und legte ihn neu auf. Dann setzte er sich hinter sein Pult und schlug »Wie man Geister beschwört« bei einem Kapitel auf, das die Überschrift »Böse Geister und wie man sie ruft« trug. Seine Lippen bewegten sich beim Lesen, und ab und zu hielt er inne, um etwas aus seiner Tasche zu holen, das er vor sich auf den Tisch legte.
Das erste war ein altes und zerknittertes Photo von ihm und seinem Bruder auf dem Rasen vor dem Apartmenthaus in der Broad Street, wo sie gewohnt hatten. Sie hatten beide den gleichen kurzen Haarschnitt, und beide lächelten sie verlegen in die Kamera. Das zweite war ein kleines Glas mit Blut. Er hatte eine streunende Katze eingefangen und ihr mit seinem Taschenmesser die Kehle durchgeschnitten. Das dritte war das besagte Taschenmesser. Und das vierte und letzte war ein Schweißband, das er aus einer alten Baseballmütze herausgerissen hatte. Aus Waynes Baseballmütze. Jim hatte sie in der Hoffnung aufbewahrt, daß er und Sally eines Tages einen Sohn haben würden, der sie tragen würde.
Er stand auf, ging hinüber zum Fenster und sah hinaus. Der Parkplatz war leer.
Er machte sich daran, die Schultische an die Wände zu schieben, so daß in der Mitte ein kreisförmiger Freiraum blieb.
Als er damit fertig war, holte er ein Stück Kreide aus seiner Schreibtischschublade und zeichnete mit Hilfe eines Maßstabs ein Pentagramm auf den Fußboden, wobei er sich ganz genau an die Vorlage im Buch hielt.
Sein Atem ging jetzt schwerer. Er schaltete das Licht aus, nahm die Dinge, die er mitgebracht hatte, in eine Hand und begann zu rezitieren.
»Dunkler Vater, höre mich an um meiner Seele willen. Ich bin einer, der Opfer verspricht. Ich bin einer, der eine finstere Gefälligkeit für ein Opfer erbittet. Ich bin einer, der Vergeltung der linken Hand sucht. Ich bringe Blut als Versprechen für ein Opfer mit.«
Er schraubte den Deckel vom Glas, in dem ursprünglich Erdnußbutter gewesen war, und schüttete das Blut in das Pentagramm.
In dem dunklen Klassenraum ging eine Veränderung vor sich. Es ließ sich nicht genau beschreiben, aber die Luft wurde schwerer. Sie schien dicker zu werden und Kehle und Magen mit Blei auszufüllen. Die tiefe Stille wurde noch intensiver, schwoll an mit etwas Unsichtbarem.
Er folgte genau den alten Riten.
Jetzt lag etwas in der Luft, das Jim an eine Gelegenheit erinnerte, als er einmal mit einer Klasse ein riesiges Kraftwerk besichtigt hatte - ein Gefühl, als sei die Luft mit Elektrizität geladen und als vibriere sie. Und plötzlich begann eine seltsam leise Und unangenehme Stimme zu ihm zu sprechen.
»Was wünschst du?«
Jim konnte nicht sagen, ob er sie tatsächlich hörte oder sich nur einbildete, sie zu hören. Er sagte zwei Sätze.
»Das ist eine kleine Gefälligkeit. Was gibst du mir dafür?«
Jim sagte drei Worte.
»Beide«, flüsterte die Stimme. »Den linken und den rechten.
Einverstanden?«
»Ja.«
»Dann gib mir, was mir gehört.«
Er klappte sein Taschenmesser auf, drehte sich zum Schreibtisch herum, legte die rechte Hand flach auf die Platte und hackte mit vier harten Hieben seinen rechten Zeigefinger ab.
Blut floß auf das Löschpapier darunter, wo es ein dunkles Muster bildete. Es tat überhaupt nicht weh. Er schob den Finger beiseite und nahm das Messer in die andere Hand. Den linken Finger abzuschneiden, war schwieriger. Seine rechte Hand fühlte sich ohne Zeigefinger sonderbar fremd an, und das Messer rutschte ihm immer wieder weg. Schließlich warf er es mit einem unwilligen Knurren beiseite, griff sich den Finger und riß ihn ab. Dann warf er alle zwei in das Pentagramm. Ein kurzer Lichtblitz zuckte auf, der an das Blitzlichtpulver erinnerte, wie es ganz früher bei Photoaufnahmen verwendet wurde. Kein Rauch, bemerkte er. Kein Schwefelgeruch.
»Welche Gegenstände hast du mitgebracht?«
»Ein Photo. Und ein Stück Tuch, das seinen Schweiß aufgenommen hat.«
»Schweiß ist wertvoll«, entgegnete die Stimme, und
Weitere Kostenlose Bücher