Nachtseelen
ab, als hätten ihn mit einem Mal die Kräfte verlassen. »Sie ist verbrannt.«
»Oh nein.« Einige Herzschläge lang sagte keiner etwas. »Sind Sie sicher, Rivas?« Er schluckte hörbar, atmete tief ein und aus. »Verdammt, sie ist noch so unerfahren. Und nicht jeder Nachzehrer hat genügend Potenzial, um sich als Wiedergänger wieder zu materialisieren. Wie konnte das bloà passieren?« Er schleuderte den Besen in eine Ecke, mit einer Wucht, die ihn entzweispringen lieÃ. Alba zuckte zusammen und griff unwillkürlich nach Finns Hand. War das der Moment, in dem sie fortlaufen sollte?
Sie blieb, weil auch Finn blieb.
»Was ist mit Ihnen los?« Wachsam musterte Adrián seinen Anführer. »Für üblich hält sich Ihr Mitgefühl oder sonst was in Grenzen.«
Conrad gab keine Antwort, völlig in sich versunken. Evelyn bedeutete anscheinend nicht nur Adrián viel, sondern auch dem Oberhaupt. Es war ein Verlust, den die beiden Männer nur schwer ertragen konnten.
Adrián ballte die Fäuste. »Einst haben Sie gesagt, sie würde mir niemals gehören. Vielleicht ⦠Vielleicht weil Sie sie mir streitig machen wollen?« Er brauchte ein Ventil für den angestauten Zorn, dachte Alba. Er suchte Streit, egal mit wem und warum.
Conrad tauchte aus seinen Gedanken auf. »Machen Sie sich nicht lächerlich.«
»Ach nein?«, brüllte Adrián. Mit einem Sprung warf er sich auf Conrad, der ihn anscheinend nicht kommen sah, und riss ihn mit sich. Die beiden Männer prallten gegen die Wand. Mit dem Fuà kickte Adrián den Besenstiel
hoch und hielt ihn in Kampfposition gegen die Brust seines Anführers gerichtet. »Ich glaube, ich kann sehr gut die Zeichen deuten. Da wird mir einiges klar.«
Conrad winkte bloà müde ab. »Das hatten wir doch schon, Rivas. Wenn Sie gegen mich kämpfen, werden Sie verlieren.« Auf einmal kam er Alba wirklich alt vor. Jahrhundertealt. »Hören Sie mit dem Unsinn auf. Lynn ist meine Tochter â und obwohl ich mir bessere Schwiegersöhne als Sie vorstellen kann, bleibt das ihre Sache, mit wem sie liiert ist. Das Recht, ihr irgendetwas vorzuschreiben, habe ich schon vor langer Zeit verloren. Im Grunde habe ich es nie besessen.«
»Was?« Adrián lieà den Besenstiel fallen. »Das ist unmöglich. Sie hat mir erzählt, Linnea sei ihre Mutter â¦Â«
»Sie können mir ruhig einen schlechten Geschmack in Sachen Frauen vorwerfen.« Seine Stimme klang brüchig.
»Ich glaube Ihnen nicht. Sie wollen sich mit einer Metamorph-Frau eingelassen haben?«
»Sie war damals eine Anwärterin, und Sie wissen so gut wie ich, dass die Aura der Anwärter sich nicht von der normaler Menschen unterscheidet. Ich hatte damals gerade meinen Blumenladen gekauft, und er war erst seit wenigen Tagen eröffnet. Da gegenüber«, Conrad deutete in die Richtung und sein Gesichtsausdruck wurde traurig, beinahe verletzlich. Erstaunlicherweise kümmerte ihn dieses Zeugnis von Schwäche kaum, »befand sich früher ein Zoogeschäft. Fast jeden Nachmittag kam ein Mädchen vorbei und verbrachte Stunden vor dem Schaufenster, als wäre sie von etwas angezogen. Natürlich
hätte ich Verdacht schöpfen können, aber manchmal übersieht man die Zeichen eben. Ich schaute ihr gern zu, wie sie da stand, ohne zu wissen, dass ich überhaupt existiere. Und das war gut so.
Eines Tages kamen zwei Kerle vorbei. Zuerst spotteten sie nur über die Kleine, dann prasselten die Beschimpfungen. Das Mädchen stürzte sich auf sie, doch die beiden prügelten es schnell zu Boden. Ich konnte dem nicht tatenlos zusehen, also mischte ich mich ein. Der eine wurde mir zu einer Zwischenmahlzeit, der andere floh. Und das Mädchen lag halb besinnungslos da. Ich konnte es auf keinen Fall auf der StraÃe lassen, also brachte ich es in den Laden. Danach kam die Kleine oft zu mir. Sie setzte sich vor das Fenster und schaute auf das Zoogeschäft gegenüber. Ich kümmerte mich um meine Blumen. Wir redeten nicht einmal miteinander, das hatten wir auch nicht nötig.«
Adrián verzog den Mund. »Sicher. Beim Ficken muss man nicht quasseln, was?«
Im ersten Augenblick glaubte Alba, ihr GroÃonkel würde wie die Teenager-Nachzehrerin zuvor aus dem Laden fliegen, doch Conrad bedachte ihn nur mit einem schweren Blick. »Passen Sie auf Ihre Ausdrucksweise
Weitere Kostenlose Bücher