Nachtseelen
Raum. Wie ein Kind, das nicht hierhergehörte.
Alba verspürte den Drang, zu ihm zu laufen, ihn zu umarmen und zu trösten. Da bewegte er sich. Ruckartig nahm er etwas vom Fensterbrett und warf es Alba vor die FüÃe.
Fotos schlitterten über den Perserteppich. Fotos, die sie Hand in Hand mit Finn zeigten, wie sie gestern die nächtliche StraÃe entlanggelaufen waren.
Sie starrte die Bilder an. »W-was soll das?«, kam es ihr über die Lippen. Emotionslos, gefasst. Als wäre etwas in ihr gestorben.
»Ich werde verrückt vor Sorge, ich lasse jeden Privatdetektiv der Stadt nach dir suchen, weil diese bescheuerte Polizei sich geweigert hat, die Vermisstenanzeige aufzunehmen. Und du?« Immer noch sah er sie nicht an, verdeckte sein Gesicht mit der Hand. »Wer ist das?«
»Finn.«
Ein Wort.
Ein Wort, das sie niemals stotterte.
»Finn«, spuckte Georg verächtlich aus und fuhr herum. »Finn! Wer ist dieser Finn?« Seine Stimme vibrierte vor Zorn. Im ersten Augenblick dachte sie, in seiner Wut würde er etwas tun, was er noch nie zuvor getan hatte. Sie schlagen.
Doch er erstarrte und ragte anklagend über ihr auf mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht.
»Wer ist dieser Finn?«, flüsterte er, als hätte ein Nachzehrer ihm die ganze Energie ausgesaugt.
Alba wollte sagen: Erinnerst du dich an den jungen Mann vor der Kapelle?, doch sie schwieg. Denn das war es nicht, was Georg hören wollte. Es fühlte sich wie eine Lüge an. Und die Wahrheit ⦠Die Wahrheit konnte sie ihm unmöglich erklären. Weder die Wahrheit über die Metamorphe, die er ihr nicht glauben, noch die Wahrheit über ihre Gefühle, die er ihr nicht verzeihen würde.
»Oh, Alba.« Ein Beben durchfuhr seinen Körper. Er trat zu ihr, umfing sie mit den Armen und zog sie an sich. »Oh, Alba. Mein Mädchen.«
Fest drückte er sie an sich, als hätte er Angst, sie fortzulassen. Dabei flüsterte er sein »Oh, Alba« mit Inbrunst wie eine Beschwörung.
Alba lehnte sich mit einer Wange an ihn. Ich habe versprochen, bei dir zu bleiben. Bis zum Ende. Bis zu deinem Ende. Sie wünschte, sie könnte jetzt weinen. Ihre Seele erleichtern. In den Tränen ihre Schuldgefühle ertränken. Aber ihre Augen blieben trocken und schmerzten, als hätte sie zu lange in den Wind gestarrt. Ich habe es
versprochen, so viele Male. Aber ich kann nicht. Eine Lüge hast du nicht verdient.
Sie sammelte ihren Mut und wand sich aus seiner Umarmung. Seine Hände verharrten in der Luft, als würde er sie noch umarmen, obwohl sie bereits mehrere Schritte von ihm entfernt stand.
»G-georg. I-ich â¦Â« Da, schon wieder krampfte es in ihrem Hals. Sie sah in seine Augen, las dort Angst und Schmerz und eine Ahnung von dem, was gleich kommen sollte. Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Sie konnte es ihm nicht sagen. Sie konnte ihm nicht wehtun. Nicht ihren Schwur brechen.
»Ich muss gehen.«
Hatte sie das gesagt? Es war ihre Stimme gewesen. Unmöglich. Sie hätte es niemals über sich gebracht.
Er schluckte schwer. Sein Adamsapfel ging hoch und runter. »Wohin?«
Schweig! Kein Wort mehr! Du musst hierbleiben. In deinem sicheren Leben. Mit dem Mann, der dich liebt, der immer für dich da war, dem du alles zu verdanken hast.
»Zu Finn.«
Seine Hand zuckte hoch, er versuchte nicht einmal, den Tick zu vertuschen. Wie in Zeitlupe wandte er sich ab.
Was hast du getan? Verflucht, was hast du bloà getan? SchmeiÃt du jetzt alles hin wegen eines Typen, den du nicht kennst?
»Georg â¦Â«
»Nein. Sag nichts mehr.«
»Georg.« Sie kam auf ihn zu, legte ihre Hand auf seinen Rücken.
Er entzog sich ihrer Berührung. »Du wolltest gehen.«
Ja. Das wollte sie.
»Georg, l-lass uns vielleicht â¦Â«
»Nein!«, rief er aus. »Wag es ja nicht zu sagen! Wir werden keine Freunde bleiben. Geh. Geh zu diesem Finn. Ich will kein Wort mehr von dir hören.«
Sie ging. Zuerst nur einen Schritt, dann einen weiteren.
Sie ging, die Alba, die gehen musste. Während das Mädchen â Georgs Mädchen â dablieb, als hätte sich ein Teil ihrer Seele von ihr gelöst. Und bevor sie die Tür hinter sich schloss, hörte sie ihn weinen.
Kapitel 20
W ieder saà Alba im Taxi. Mit noch feuchtem Haar, dafür aber wie eine Lady angezogen â auÃen schick, innerlich leer.
Wenn sie die Augen
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