Nachtseelen
Georgs Kreisen bekannt? Also musste er in der freien Wirtschaft recht erfolgreich sein. Das überraschte Alba.
»Rivas Sarmiento«, verbesserte der Nachzehrer ihn.
Sie betrachtete die Schuhe ihres GroÃonkels: modisch, sehr teures Leder und auf Hochglanz poliert. Bloà unter keinen Umständen hochsehen!
»Wie wahr«, stichelte sie. »Sie heute hier anzutreffen â das hätte auch ich nicht für möglich gehalten.«
Georg lachte höflich und versuchte ihre bissige Bemerkung zu überspielen. »Ich bitte meine Freundin zu entschuldigen, sie musste viel durchmachen in der letzten Zeit. Mh. Um Sie ranken sich mehr Gerüchte als um
Brad Pitt. Zugegeben, Ihre Heimlichkeit um Ihre Person lädt dazu förmlich ein.«
»Ich bemühe mich, meine Privatsphäre von der Ãffentlichkeit fernzuhalten. Für die Geschäfte ist das eh nebensächlich.«
Alba schnaufte. »Und womit machen Sie Geschäfte?« Immerhin war es ihr gelungen, Georgs Hand von ihrem Ellbogen loszuwerden.
»Krieg ist mein Geschäft«, gab Adrián ihr Auskunft.
Wie passend! Fast hätte sie aufgeblickt, konnte sich aber im letzten Moment zurückhalten.
»Ihm gehört ein GroÃteil einer Firma, die Waffen entwickelt und vertreibt. Auf legale Weise, natürlich«, erklärte Georg ihr.
»Natürlich«, giftete Alba zurück. »Alles vollkommen legal.« Bestimmt rüstete er damit seinen Clan aus. Aber es gab ja kein Gesetz, das verbot, Untote mit Waffen zu beliefern. ÃuÃerst praktisch.
»Es ist sehr warm hier. Wollen wir die Unterhaltung nicht lieber im Garten fortsetzen?«, schlug Adrián vor, und Alba stockte das Herz. Nein, nein und wieder nein! Sie durfte sich auf keinen Fall von der Menschenmenge lösen. Mit dem Nachzehrer allein im Garten zu sein, das wäre ihr Ende. Oder zumindest das Ende für ihre Erinnerungen, ihrer Liebe zu Finn. Auch Georg könnte sie kaum vor einem Angriff schützen, der Untote würde einfach sein Gedächtnis manipulieren und ihn in dem Glauben lassen, auÃer einer netten Unterhaltung sei nichts passiert. Sie saà in der Falle.
»Gern«, erwiderte Georg und legte den Arm um Albas Taille. »Mit gröÃtem Vergnügen.«
Ein dumpfer Schlag gegen das Fenster zu ihrer Rechten brachte sie davon ab, ihm vor all den Leuten eine reinzuhauen. Sie drehte den Kopf dem Geräusch zu, konnte allerdings in der Dunkelheit drauÃen nichts sehen.
Gleich darauf ertönte es erneut, und diesmal beobachtete Alba, wie ein unförmiges Etwas die Scheibe traf. Und gleich danach wieder. Was war das? Es geschah viel zu schnell, um irgendetwas zu erkennen. Auch einige der Gäste hatten es bemerkt und tuschelten. Albas Mutter bemühte sich nach Kräften, die sich anbahnende Aufregung herunterzuspielen. Wenigstens hatte sie den molligen Herrn an ihrer Seite vergessen, was Alba nicht ohne eine gewisse Schadenfreude ihrem Vater gegenüber registrierte.
»Es ist ein Vogel«, stellte Adrián fest.
Etwas in seiner Stimme lieà Alba alles verdrängen: ihren Vater, die Mutter und ihren Freier, die Gäste ringsherum. Es gab nur das Fenster und die Dunkelheit dahinter, in der Alba irgendetwas zu erspähen erhoffte.
Dann schlug es wieder gegen die Scheibe und gleich darauf zweimal hintereinander. Es überlief Alba siedend heiÃ. Adrián hatte Recht. Es war ein Vogel. Und sie ahnte bereits, welcher.
Sie stürmte zum Fenster und rüttelte am Griff, bis sie es aufgemacht hatte. Etwas schoss auf sie zu, sie musste sich ducken, und der Rotmilan flatterte über ihren Kopf hinweg in den Saal. Ãberraschte und erschreckte
Rufe ertönten, die Menschen stoben auseinander, jemand lieà sein Sektglas fallen. Der Vogel flog taumelnd durch den Raum, schlug gegen die Wände, als wäre er absolut orientierungslos, und steuerte den Kristallleuchter an.
»Nein, nicht dorthin!«, rief Albas Mutter wehmütig und wurde vom Klirren und Rasseln übertönt.
Mit ganzer Wucht prallte der Rotmilan dagegen, verfing sich in den filigranen Ketten und riss mehrere der Kristallanhänger herunter. Einige Glühbirnen zerplatzten, während das Tier wie verrückt im Leuchter strampelte.
»Athene!« Alba lief in die Mitte des Saals, die von den anderen geräumt worden war, und streckte den Arm aus. »Athene, hier!«
Der Vogel zappelte wie ein im Netz gefangener Fisch. Weitere
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