Nachtseelen
erst an.
Ihr fast lebloser menschlicher Körper lag im Flur, abgekühlt, die lebenserhaltenden Funktionen auf ein Minimum reduziert. Und über ihn beugte sich Ylva.
In ihrem Seelentier fühlte Linnea anders, Instinkte bewegten sie dazu, ihren Körper zu beschützen und den Feind davonzujagen. Mit lautem Warnzischen schnellte
sie vorwärts, die Giftzähne ausgefahren, um sie der jungen Frau in die Hand zu stoÃen, mit der diese nach ihrem Puls tastete.
Ylva schrie auf und sprang zurück, rettete sich auf die andere Seite des Korridors. Es war nur ein kurzer Moment, eine intuitive Reaktion. Aber etwas hatte sich merklich an der jungen Frau verändert. Ihre Bewegungen wirkten nicht mehr so tierhaft wie vorher, und der Ausruf war eindeutig menschlich. Was hatte Oya mit dem Mädchen angestellt? Ein Dämon sollte jetzt in ihr weilen, doch noch spürte Linnea seine Präsenz nicht, obwohl sie sonst das Schattenreich wahrnehmen konnte.
Etwas fauchte â die Ratte schnellte vor und stellte sich zwischen Linnea und sein Frauchen. Linnea visierte den Nager an, züngelte und schmeckte seinen Geruch. Der Hunger meldete sich, und es fiel ihr schwer, ihn zu zügeln. Ylva murmelte etwas, was Linnea nicht hören konnte, packte das Tier am Nacken und taumelte weiter zurück.
Linnea beachtete die beiden nicht mehr. Sie ringelte sich auf der Brust ihres menschlichen Körpers zusammen, den Kopf zu Mund und Nase ausgestreckt. Ihre gespaltene Zunge huschte vor und zurück, sie schmeckte den Hauch ihres Atems. Dann krampften die Muskeln, sie zuckte unkontrolliert, und ihr Geist wurde von der Schlange abgestoÃen.
Als Linnea in ihrer eigenen Hülle zu sich kam, fühlte es sich an, als wäre ihr ganzer Körper eingeschlafen. Sie
stöhnte, blieb aber liegen. Nur vorsichtig rührte sie die Finger, dann die Arme und die Beine. Es musste einige Zeit vergehen, bis sie sich daran gewöhnt hatte, wieder über mehrere Extremitäten zu verfügen.
»Wer bist du? Was geschieht hier?«
Linnea verharrte, als sie Ylva reden hörte. Reden wie ein Mensch, ohne Fauchen und Japsen. Klare Laute, zu sinnvollen Wörtern verwoben. Die Stimme der jungen Frau klang nach einem angenehmen Mezzosopran, jedoch rau, als wäre das Mädchen es noch nicht gewohnt, seine Stimmbänder auf diese Art zu gebrauchen.
Linnea wagte es, ihren Kopf zu drehen, um Ylva besser zu sehen. Da stand sie, eine zierliche, anscheinend nackte Gestalt. Doch in aufrechter Haltung wirkte sie gröÃer als zuvor, älter und reifer. Wie hatte das Mädchen es bloà geschafft, aus dem Käfig herauszukommen? Hatte ihm jemand geholfen? Nein, unmöglich.
Linnea stützte sich mit dem Arm ab und setzte sich auf, mit dem Rücken an die Kommode gelehnt. Kein Brechreiz, keine Schwindelanfälle. Ihr ging es besser als nach der letzten Verschmelzung, nach der es ihr damals vorgekommen war, als hätte sie den Schleudergang in einer Waschmaschine überlebt.
»Wer bist du?«, wiederholte Ylva und brachte sich in Kampfposition.
Was für ein wunderbares Geschöpf! Mit Instinkten, die jede Jägerin vor Neid erblassen lassen würde. Linnea beeilte sich zu antworten, um die Kleine nicht zu sehr zu reizen, doch es gelang ihr nicht sofort, menschliche
Laute zu produzieren. Ihr Geist klammerte sich noch immer an die Vorstellung, sie sei eine Schlange.
Endlich brachte sie hervor: »Ich heiÃe Linnea. Du brauchst nichts zu befürchten, es ist alles gut. Hier bist du in Sicherheit.«
Natürlich glaubte Ylva ihr nicht. Kein Wunder, unter den Umständen. Wie sehr wünschte Linnea sich, sie wäre dabei gewesen, als das Mädchen aufgewacht war! Sie fühlte sich für die Kleine verantwortlich. Wobei â Kleine? Nein, so klein, wie es zuvor den Eindruck erweckt hatte, war sie keineswegs.
»Warum war ich in einem Käfig eingesperrt?«
Was sollte sie antworten? Weil du dem Feind geholfen hast? Weil du dich gegen mich gestellt hast und ich dich dafür umbringen wollte, es aber nicht übers Herz bringen konnte? Die Wahrheit hörte sich zu grässlich an, um sie zu offenbaren. Aber gänzlich lügen wollte Linnea auch nicht.
»Du warst sehr krank. Ich musste Sorge dafür tragen, dass du dir selbst oder den anderen keinen Schaden zufügst. Ich freue mich zu sehen, dass es dir bessergeht.« Sie lächelte. Und stellte mit Verwunderung und mit nicht weniger
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