Nachtseelen
übersät waren, und ertastete das Klebeband vor seinem Mund.
»Ach. Du kannst mir ja gar nicht antworten.« Mit einem Ruck riss sie den Streifen ab, was ihn dazu veranlasste, scharf die Luft einzuziehen. »Wunderbar, wenn einem die Arbeit abgenommen wird, findest du nicht auch?«
»Wo bin ich?«
Sie lachte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Bei mir.«
»Schlimmer kann es wohl nicht kommen.« Er trat ihr gegen das Schienbein.
Linnea schrie auf und sprang zurück. Verflucht. Seine Beine waren nicht gefesselt, obwohl sie das eigentlich angenommen hatte. Wie unaufmerksam von ihr.
»Du bist im Keller deiner Oma, wenn du es genau wissen willst. Ruf nach ihr, falls du magst, sie würde sicherlich nach dir sehen wollen. Sie hat sich ja so viel Mühe mit dir gemacht, all diese Zeit.«
Sie spürte, wie er erschrocken schnaubte. »Was willst du von ihr?«
So ein Dummerchen aber auch. Er ahnte immer noch nicht, was hier gespielt wurde.
»Du weiÃt es nicht? Nein, wie denn auch. Das Interessanteste hast du ja verschlafen.« Sie vernahm, wie ein Auto auf das Grundstück fuhr. Ein groÃes Auto. Juliane Dwenger kehrte zurück. »Ich würde noch länger mit dir plaudern, aber jetzt habe ich zu tun. Keine Sorge, ich komme bald wieder zu dir. Wir werden eine schöne, leider etwas kurze und für dich sicherlich nicht ganz so angenehme Zeit zusammen verbringen.«
»Was hast du vor? Lass meine Oma in Ruhe!«
»Ach Finn, mein armer Junge, ich werde dir heute einen Riesengefallen tun. Aber ich erwarte nicht, dass du mir dafür dankst.«
Sie drehte sich um und steuerte den Ausgang an.
»Nein! Warte!« Sie hörte, wie er an den Handschellen
zerrte. Natürlich vergebens. Er würde ihr nicht entkommen, genauso wenig wie Juliane, die ahnungslos in ihr trautes Heim zurückkehrte.
Doch sie musste sich sputen.
Linnea eilte aus dem Keller, wäre fast auf der Treppe gestolpert. Den Waffenschrank, dessen Stand sie sich in Smaragdas Körper eingeprägt hatte, fand sie sofort. Sie wusste, dass Juliane ihn nicht abschloss, um bei der geringsten Gefahr zur Waffe greifen zu können. Jetzt wurde ihr das zum Verhängnis.
Linnea holte das Gewehr und lud es, dann trat sie zurück in den Flur, die Waffe auf den Eingang gerichtet.
Der Schlüssel wurde gedreht. Die Tür quietschte beim Ãffnen und gab Linnea ein Zeichen.
»Ãberraschung!« Sie drückte ab, sobald sie Julianes Wärmesignatur empfangen hatte. Wie schade, dass sie nicht real sehen konnte, wie die Brust ihrer Feindin von den Schrotkugeln zerfetzt wurde. Sie nahm bloà eine Infrarotversion davon wahr, als das warm leuchtende Blut an die kaltblauen Wände spritzte.
Der zierliche Körper brach in sich zusammen. Das dumpfe Geräusch, als er auf dem Boden aufschlug, lieà Linnea wohlig erschaudern.
Es war vorbei.
So einfach.
So schnell.
Dass es sie sogar ein wenig enttäuschte.
Kapitel 27
N ein! Warte!«
Finn zerrte an seinen Fesseln. Die Handschellen schnitten ihm in die Gelenke, das Quietschen von Metall auf Metall ertönte, als die Kettenglieder am Gitterstab scharrten, doch viel mehr geschah nicht. Sich zu befreien war unmöglich, und nach einigen Minuten des Kampfes musste er aufgeben, nicht zuletzt, weil sein verbundener Arm wehtat. Ein wenig beneidete er die Totenküsser, die das Gitter vermutlich mit Leichtigkeit von dem Fenster gerissen hätten.
Während er schlaff in seinen Fesseln hing, gingen ihm alle möglichen Fragen durch den Kopf, auf die er sich die Antworten zusammenzuschustern versuchte. Nur mit Mühen gelang es ihm, den Vorgang seiner Gefangennahme zu rekonstruieren. Er war überfallen, mit einem Elektroschocker und einem Beruhigungsmittel auÃer Gefecht gesetzt und schlieÃlich hierhergebracht worden. Von Linnea, kein Zweifel. Aber warum ausgerechnet hierher? Die Antwort lag nahe: Um Juliane eine Falle zu stellen. Was er allerdings nicht begriff: Aus welchem Grund verfolgte Linnea seine Oma? Ja, die alte Frau war früher eine Metamorph-Königin gewesen.
Doch ohne ihr Seelentier stellte sie keinerlei Gefahr mehr dar. Die einzig logische Erklärung lag in Julianes langem Leben ohne das Seelentier. Kein Metamorph konnte so viele Jahre durchstehen, ohne den Verstand zu verlieren. Und auch mit dem Seelentier ereilte dieses Schicksal früher oder später absolut jeden. War Linnea hinter dem
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