Nachtseelen
du, dass Juliane Dwenger deiner Mutter einen hübschen Batzen Geld gegeben hat, damit sie dir eintrichterte, diese Frau, die du nie zuvor gesehen hattest, wäre deine Oma? Nein? Ach, mach dir nichts draus, ich habe es auch erst vor kurzem erfahren.«
»Lächerlich!« Er wollte sich ihrer Berührung entziehen, doch es gelang ihm nicht. »Warum hätte sie das tun sollen? Hätte sich jemand ein Kind kaufen wollen, wäre ich der Letzte gewesen, auf den die Wahl gefallen wäre.«
»Ja, warum hätte sie das tun sollen? Was ist an dir so besonders, dass du dieser Mühe wert bist?« Linnea lachte. Ãbermütig zupfte sie an seinen Haarsträhnen. »Zerbrich dir nicht den Kopf. Ich wäre auch nie dahintergekommen, wenn ich deine selbst ernannte Oma nicht beobachtet hätte.«
Plötzlich flutete Licht den Kellerraum.
»Ãberraschung«, knirschte eine Stimme wie ein altes Radio, begleitet von einem kaum wahrnehmbaren Fiepen
und Schmatzen. »Glaubst du nicht, diese Geschichte sollte lieber ich ihm erzählen?«
Finn blinzelte. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich auf die Helligkeit eingestellt hatten, und alles Weitere passierte so schnell, dass er nicht sofort fassen konnte, was sich vor ihm abspielte.
Linnea wurde zu Boden gerissen und niedergedrückt. Auf ihrer Brust thronte Juliane und traktierte mit gezielten Faustschlägen das Gesicht der Königin, die ihre Arme schützend hochriss und sich hin und her wand. Einige Strähnen hatten sich aus der Hochsteckfrisur der alten Frau gelöst, doch das stellte noch das geringste Ãbel dar. Ihre fliederfarbene Bluse war blutgetränkt und von Schrotkugeln zerfetzt â eine einzige Matschstelle aus Fleisch, Haut und Kleidungsstoff.
Sobald sie sich von der ersten Verblüffung erholt hatte, wand sich Linnea einer Schlange ähnlich unter ihrer Angreiferin hervor, rollte sich einige Meter weg und sprang auf die Beine. Sie wollte nach dem Gewehr greifen, doch Finn trat die Waffe mit dem Fuà in eine Ecke, ohne nachzudenken. Wenigstens so konnte er seiner Oma helfen.
Juliane schnellte auf ihre Feindin zu, doch diese traf sie mit einem gezielten Tritt in den Bauch, so dass die alte Frau gegen eine Werkbank geschleudert wurde. Zusammen mit dem Möbelstück und einigen Werkzeugen ging sie zu Boden.
»Wie ist das möglich, dass du noch lebst?«, fauchte Linnea und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihre Nase blutete, das rechte Auge begann anzuschwellen.
Juliane erhob sich mit der Grazie einer wahren Königin. Mit offenen Händen, als wolle sie die Metamorph-Frau umarmen, ging sie auf ihre Gegnerin zu. »Sag du es mir, du bist ja so ein schlaues Mädchen.« Ihre Stimme klang fremd und verzerrt.
Linnea stand unbewegt wie eine Statue, bis Juliane auf etwa zwei Meter Entfernung heran war. Als hätte die alte Dame ihr ein Schwert in den Bauch gerammt, schreckte die Metamorph-Königin zurück. Ihre Gesichtszüge entgleisten. »Ich fühle es! GroÃgütiger, jetzt verstehe ich, woher die Spuren des Schattenreiches hier kommen. Du trägst einen Dämon in dir. Deswegen hast du so lange ohne dein Seelentier überlebt. Deswegen konnte der Schuss dir nichts anhaben!«
»Ertappt.« Juliane hechtete auf ihre Feindin zu, doch die Königin hatte nicht mehr vor zu kämpfen. Sie wich dem Angriff aus und floh aus dem Keller. Juliane schnellte ihr hinterher, bekam sie zu fassen. Zusammen stieÃen sie gegen eine Wand, dann riss sich Linnea aus dem Griff los.
Auf der Treppe polterte es, danach verlagerten sich die Kampfgeräusche in den Flur. Mobiliar zerbrach, irgendwo zerschellte Glas â dann war es still.
Wie ist das möglich, dass du noch lebst? , kreiste Linneas Frage in Finns Kopf. Was die Königin kurz darauf anscheinend begriffen hatte, blieb ihm ein Rätsel.
Juliane kam zurück und zupfte ihre Bluse zurecht, als wäre nichts geschehen. »Das Miststück ist mir entwischt.«
»Oma â¦Â«, hauchte Finn, immer noch zu überrumpelt, um klar denken zu können. »Was ist passiert? Wie â¦Â« Ja, wie hast du denn diese Wunde überlebt? , wollte er fragen, stieà aber bloà ein atemloses »Wie geht es dir?« hervor.
Sie winkte ab. »Nett, dass du dir um mich Sorgen machst, aber völlig unnötig. Es ist nur ärgerlich, dass Linnea mich aufgespürt hat. Denn nun muss ich auch dieses Haus aufgeben
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