Nachtseelen
stockte und erklärte dann: »Alfred sagt, sein Brustbein wurde eingedrückt und hat den Herzbeutel perforiert. Verflucht, Mann, kannst du dich nicht verständlicher ausdrücken?« Wieder schwieg er kurz und wandte sich schlieÃlich an Alba. »Okay, das ist übel, aber Alfred beeilt sich. Er ist bald da. Er meint allerdings, es könnte zu spä⦠ähm ⦠etwas knapp sein.«
»Es wird nicht zu spät sein!«, fauchte sie. Mit zittrigen Fingern strich Alba Finn über das Gesicht. Ihn so zu sehen quetschte ihr die Brust zusammen, als wäre sie es, der das Brustbein eingedrückt worden war. »Nein. Es wird nicht zu spät sein. Er schafft es«, fügte sie beinahe lautlos hinzu und wollte seine Hand ergreifen, wurde aber von Adrián daran gehindert.
»Keine gute Idee. Sein Finger ist gebrochen, und ich glaube, er musste schon genug ertragen, auch ohne dass du ihm zusätzliche Schmerzen zufügst. Am besten, du fasst ihn nicht an.«
Und sie fasste ihn nicht an, obwohl es ihr vorkam, als hätte der Tod ihn ihr bereits entrissen.
Blödsinn, redete sie auf sich ein. Würdest du ihn in deinen Armen halten, würde ihm das auch nicht helfen.
Nein, ihm vermutlich nicht, aber ihr. Das bange Warten zu überstehen, bei dem jede Sekunde sich eine Ewigkeit hinzog. Verflucht, wo war Alfred? Und wäre es nicht sinnvoller gewesen, einen Krankenwagen zu rufen?
»Wäre es nicht«, erwiderte ihr GroÃonkel sanft und dennoch eindringlich. »Vertraue uns. Alfred hat ganz eigene Methoden, um ihn durchzubringen.«
Alba nickte. Angestrengt lauschte sie, um wenigstens das Geräusch seines Atems wahrzunehmen, der ihn in dieser Welt hielt. Bei ihr.
Hör nicht auf zu atmen. Bitte, hör nicht auf damit! Komm nicht auf die Idee, mich zu verlassen.
Plötzlich setzte seine Atmung aus.
Alba stieà einen erstickten Schrei aus. Adrián umschloss ihre Schultern und schob sie beiseite. »Lass mich ran. Ich gebe ihm etwas von der Energie ab, die ich noch habe. Das verschafft ihm ein paar Minuten.«
Mit einer fahrigen Geste wischte sie sich die Tränen aus den Augen. »Sei aber vorsichtig. Nicht, dass du stattdessen â¦Â«
»Keine Sorge, er hat ja kaum was. So hungrig bin ich noch nicht.« Er blinzelte, und als er die Augen wieder aufschlug, war seine Iris pechschwarz. Sogleich presste er seine Lippen auf Finns Mund.
Mehrere quälende Sekunden lang geschah nichts, dann spürte Alba, wie Finns gesunde Hand die ihre umschloss.
Der Nachzehrer richtete sich auf. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, er musste sich abstützen, um nicht umzufallen. »Mehr kann ich ihm nicht geben, ohne zu einer Gefahr für euch beide zu werden. Hoffentlich reicht das aus.«
Alba schluckte krampfhaft. »Danke.«
Erleichtert beobachtete sie, wie Finns Atmung sich stabilisierte. Seine Lider flatterten, er kam zu Bewusstsein. Als er Alba über sich erkannte, versuchte er zu lächeln, was auf seinem schmerzverzerrten Gesicht schief und gequält wirkte. Trotzdem fand Alba, sie hätte noch nie etwas Schöneres gesehen.
Finns Blick streifte Adrián. »Wehe ⦠du hast ⦠mich ⦠geknutscht.«
Adrián schnaubte gespielt beleidigt. »Zier dich nicht so. Es war höchste Zeit, unsere Beziehung auf eine körperliche Ebene zu verlagern. Und jetzt sei still und verschwende nicht die Energie. Die ist teuer. Sie wurde mit Menschenleben bezahlt.«
»Kinder ⦠hinter ⦠hinter dem Schrank ⦠ein Verlies ⦠Lasst nicht zu ⦠dass ihnen widerfährt ⦠was mir ⦠nein, uns â¦Â«
Alba hielt inne. Uns? Hatte er sie erkannt? Das achtjährige Mädchen, das nur dank ihm erwachsen werden durfte?
»Was für Kinder?«, unterbrach Adrián ihn. »Halt lieber den Mund. Du redest wirres Zeug.«
Die Worte »Kinder« und »Verlies«, in einem Satz ausgesprochen, riefen bei Alba nur eine Assoziation hervor.
»Kinderexperimente? Hier? Steckte etwa Juliane dahinter?«
Finn nickte schwach. Erleichterung glättete seine Züge. Er schloss die Lider. »Ihr müsst ⦠sie retten. Und ⦠hüte dich vor den Hexen. Hörst du?«
»Ich kann dich jetzt doch nicht allein lassen!«, rief Alba aus.
»Ich ⦠laufe dir schon ⦠nicht weg. Versprochen.«
Schweren Herzens gab sie nach. »In Ordnung. Adrián? Siehst du nach?«
Der Nachzehrer
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