Nachtseelen
Beete, im Kampf zu einem Knäuel verschmolzen. Federn stoben in die Luft, es kreischte und miaute und flatterte. Dem Vogel gelang es, sich zu befreien. Er machte zwei groÃe Hüpfer, schlug mit den Flügeln und hob ungelenk einige Zentimeter vom Boden ab, da sprang die Katze hoch, packte ihn und zerrte ihn nieder. Scharfe Zähne bohrten sich in sein Bein, die Pranken rissen und zerrten an ihm. Der Vogel schrie und flatterte.
Alba wollte nicht länger tatenlos zusehen. Sie packte die Katze am Nacken und riss sie in die Luft. Der Vogel blieb am Boden liegen. Blut verschmierte sein Gefieder. Seine Brust zitterte.
Die Katze fauchte und wand sich. Die Mappe mit Hermanns Unterlagen fiel Alba herunter, aber das beachtete sie nicht. Der Wind spielte mit den Blättern und jagte sie davon.
Vermutlich hielt Alba das Tier nicht fest genug, denn es gelang ihm, ihr mit den Krallen über den Unterarm zu fahren. Der Schmerz lieà sie scharf die Luft einziehen. Alba schleuderte die Katze von sich und hob den Vogel auf. Doch die Angreiferin gab nicht auf. Sie sprang Alba an, zielte mit ihren Pranken und Zähnen
auf den Arm, in dem sie den Vogel hielt. Alba schüttelte das Tier ab. Ihre hohen Absätze versanken in der Erde, sie stolperte, erlangte aber das Gleichgewicht wieder. Die Katze machte sich zu einem neuen Angriff bereit.
Alba schob ihre Hand in eine Tasche ihrer Jeans und ertastete das Messer, das sie auf dem Dachboden gefunden hatte und seitdem bei sich trug. Sie holte es heraus, drückte auf den Knopf und lieà die Klinge hervorschnellen.
Die Katze fauchte und verharrte, mit einem Buckel und aufgerichtetem Fell, das Maul voller Federn.
Der Vogel hing schlaff in Albas Arm. Bitte, lass ihn leben! Sie konnte sich nicht erinnern, jemals gebetet zu haben. Vielleicht als Kind. Mit ihrem Opa. In einem anderen Leben. Aber nun war sie bereit dazu.
»Ach, was haben wir denn da?«, erklang plötzlich eine rauchige Stimme.
Alba fuhr herum. Eine Frau stand hinter ihr. Die Unbekannte hatte kurzes, auberginefarbenes Haar, das in Stoppeln vom Kopf abstand, und zarte Gesichtszüge, die nicht zu ihren breiten Schultern und den Armen, die wie die eines Schlachters aussahen, passen wollten.
Ein Grinsen entblöÃte eine Reihe weiÃer Zähne. »Sei ein braves Mädchen und gib mir den Rotmilan.«
Alba taumelte einige Schritte rückwärts. Sie spürte die Wärme des Vogels, den sie schützend an ihre Brust drückte, sein Blut an ihren Fingern und die Gewissheit: Nie im Leben würde sie ihn dieser Frau überlassen.
Die Unbekannte seufzte. Ein Strasssteinchen oberhalb
ihrer Lippe funkelte mit ihren Augen um die Wette.
»Normalerweise bitte ich nur ein Mal um etwas«, sagte sie. »Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass es nicht ratsam ist, mich zu reizen. Doch dir gebe ich noch eine Chance. Leg den Vogel hin und verschwinde von hier. Er gehört mir.«
Alba regte sich nicht.
»Dumme Nuss!« Die Frau hob eine Hand. Alba keuchte, als sie in den Lauf einer Pistole blickte. Die Welt um sie herum erstarrte wie das Grinsen der Unbekannten.
»Dann würde ich sagen: Hier ist Endstation für dich, meine Hübsche.«
Kapitel 11
A lba schloss die Augen. In was für eine Misere war sie geraten? Selbst schuld. Hatte Georg nicht darauf beharrt, sie solle nicht im Wespennest stochern? Er beschützte sie, und sie hatte ihn immer wieder von sich gestoÃen. Dämliche Kuh.
Gleich würde es vorbei sein â¦
Jeden Augenblick erwartete sie den Schuss. Würde es wehtun? Oder bedeutete der Tod nur, tief und fest einzuschlafen, ohne von Alpträumen gequält zu werden? Eigentlich das, was sie sich schon immer gewünscht hatte.
Dennoch marterte Angst ihre Seele. Sie hätte den Vogel dieser Frau überlassen sollen ⦠Sie hätte â¦
»An deiner Stelle würde ich die Waffe niederlegen«, ertönte Juliane Dwengers Stimme, metallisch und kalt. Kein Vorschlag â ein Befehl.
Alba wagte es, die Augen zu öffnen. Die Rentnerin stand in der Nähe und hielt ein Gewehr im Anschlag. Diese kleine Frau wirkte mit der Waffe in ihren dürren Händen wie eine Comicfigur. Und dennoch vermittelte sie den Eindruck, als wisse sie genau, was sie tat. Sie hatte eine Wange an den Gewehrkolben gepresst und
ein Auge zusammengekniffen, die groÃe Brille balancierte auf ihrem Nasenrücken.
Die Angreiferin zielte nun auf sie. »Du kannst
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