Nachtseelen
zuckte hoch, aber er zupfte nicht an seinem Kragen, um es zu vertuschen, so aufgewühlt war er offenbar. »Soweit wir wissen, dachte man auch bei Robert an eine Entführung â¦Â«
Die Frau schüttelte den Kopf. Mit fahrigen Fingern zerrte sie an ihrer Decke. »Dann wissen Sie rein gar nichts. Ich war damals fünfzehn. Unsere Mutter war vor ein paar Jahren gestorben, und wir lebten bei unserem Vater, der sein Hochprozentiges mit Koks zu würzen pflegte. An dem Tag versuchte ich wie immer, meine Hausaufgaben fertig zu bekommen, bevor er nach Hause kam. Robert war nicht da, vielleicht trieb er sich wieder mal auf der StraÃe herum. Ich war sauer auf ihn, denn er war mit dem Haushalt dran: Aufräumen, Einkaufen â Sie wissen schon.
Mein Vater tauchte früher als erwartet und in Begleitung auf. Er brachte oft seine Saufkumpane mit, aber dieses Mal spürte ich, dass der Mann an seiner Seite etwas anderes im Schilde führte. Ich erspähte ihn durch einen Türspalt und bekam eine Heidenangst. Er war riesig und schwarz gekleidet, hinter ihm tippelte ein Fuchs her. Ein Fuchs! Wo gabâs denn so was? Ich lauschte und achtete darauf, keinen Mucks von mir zu geben.
Der Mann drückte meinem Vater Geld in die Hand, einen Haufen zerknüllter Scheine, und fragte: âºWo ist das Kind?â¹ Einige Banknoten fielen auf den Boden. Kriechend
sammelte mein Vater sie auf, zählte und glättete sie mit zittrigen, mit Speichel benetzten Fingern.« Mandy schüttelte sich und zog die Decke höher, als friere sie. »Es sei zu wenig, beschwerte er sich. âºDu kannst von Glück sprechen, wenigstens etwas zu bekommenâ¹, erwiderte der Unbekannte, âºder Junge ist eh schon fast zu alt.â¹
âºGib mir noch fünfhundert, und du kannst die Göre gleich mithabenâ¹, feilschte mein Vater.
Doch der Mann meinte, mit einer Fünfzehnjährigen könne er nichts anfangen. Vermutlich hat mir das das Leben gerettet.« Sie schwieg kurz. »Nun, der Mann ging, und Robert kam nie wieder nach Hause.«
Alba wagte es kaum, sich zu rühren. Wenn ein Vater seinen eigenen Sohn verkaufte, was würde dann jemand mit einem Kind tun, das ihm nur aufgehalst wurde? Das Bild von ihrem gutmütigen Opa zerbröckelte in ihrem Geist. Sie hatte wieder seine Worte im Sinn, an die sie sich während des Angriffs in seinem Haus erinnert hatte: Was soll ich mit dem Kind? Du kannst doch das Mädchen nicht einfach so hierlassen.
Unerwünscht , brannte es auf ihrer Stirn. Verkauft!, klumpte es ihr in der Kehle.
Während sie einst einen wehmütigen, verunsicherten Ton aus den Sätzen ihres Opas herausgehört hatte, schien er ihr nun von Verärgerung zu künden. Ihr Opa wollte nicht von einem kleinen Mädchen belästigt werden. Was, wenn auch sie nicht entführt, sondern an den Riesen in schwarzer Kleidung verscherbelt worden war?
Und jetzt hatte Hermann ihr den Brief geschickt, um ihr seine Schuld auf diese Weise einzugestehen. SchlieÃlich hatte Georg bereits gemeint, ihr GroÃvater wäre nur seinen Hirngespinsten nachgejagt, ein Kind hätte ihn vielleicht gestört und Aufmerksamkeit gefordert. Wie blind sie doch gewesen war, wie verliebt in ein von ihr selbst erfundenes Bild, das sie die ganze Zeit in sich gehütet hatte! In der Hoffnung, wenigstens jemandem auf dieser Welt nicht unerwünscht zu sein.
Sie bemühte sich, das innerliche Zittern zu unterdrücken. Erst als Georg seinen Arm um ihre Schultern legte, fühlte sie sich besser. In Sicherheit.
»Aber es war in den Berichten oder Zeitungen nie die Rede von einem Mann«, sagte er.
Mandy Fabel nickte zerknirscht. »Ich habe es damals keinem gesagt. Mein Vater drohte mir, mich umzubringen, wenn ich auch nur ein Wort verriet. Ich habe ihm geglaubt. Was ich mir bis heute nicht verzeihen kann. Denn wenn ich damals mutiger gewesen wäre, wenn ich meinen Mund aufgemacht hätte, wäre Robert vielleicht noch am Leben. Aber ich habe nichts dergleichen getan. Ich habe ihn im Stich gelassen, und er musste mit seinen dreizehn Jahren sterben.«
»Sie tragen keine Schuld«, versicherte Georg ihr.
Ihr Blick war stur auf ihre sorgfältig manikürten Finger gerichtet. »Als Sie meinten, es wären neue Fakten aufgetaucht, habe ich gehofft, es ginge um den schwarz gekleideten Mann. Vielleicht, dass man ihn gefunden und er seine gerechte Strafe erhalten hätte. Ich weiÃ,
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