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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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ihn nicht beschützen, altes Weib. Deine Schlacht ist schon längst verloren. Denkst du wirklich, du kannst mich aufhalten? Er gehört Linnea, und ich werde ihn ihr bringen.«
    Â»Das glaube ich weniger«, zischte Juliane Dwenger durch zusammengepresste Zähne. »Niemand bedroht meinen Jungen.« Und zu Alba: »Bring ihn in Sicherheit.«
    Alba rührte sich nicht von der Stelle.
    Â»Na los!«, donnerte die Rentnerin. »Lauf!«
    Als hätte der Ruf ihr einen Schubs versetzt, stolperte Alba zum Gartentor und lief, so schnell sie konnte, den ganzen Weg zu ihrem Auto zurück – ohne sich zu verirren. Es gelang ihr nicht sofort, den Schlüssel aus der Tasche der engen Jeans herauszufischen und mit einem Knopfdruck die Türen zu öffnen. Ihre Hände zitterten, und sie befürchtete, den Schlüssel fallen zu lassen. Den Vogel bettete sie auf den Beifahrersitz. So zerrupft und blutverschmiert, wie er war, sah er nicht gut aus, aber er lebte. Sie musste ihn zum Tierarzt bringen, dann … dann würde sie weitersehen. Denk in kleinen Schritten! Und erlaube der Panik nicht, dich in den Wahnsinn zu treiben.
    Alba krallte ihre Hände in das Lenkrad. Wenn sie aufschaute, glaubte sie immer noch in den schwarzen Lauf der Pistole zu blicken, und ihr Puls begann sogleich zu
rasen. Reiß dich zusammen! Einatmen – ausatmen. Die Welt entfernte sich, als wäre sie nicht länger ein Teil von ihr.
    Einatmen.
    Ausatmen.
    Ihre Hände hörten auf zu beben, und es gelang ihr, das Zündschloss mit dem Schlüssel zu treffen, als die Beifahrertür aufgerissen wurde. Ein Mädchen – oder eher eine junge Frau? -, in Lumpen gekleidet, griff nach dem Vogel. Das verfilzte Haar von der Farbe schmutzigen Schnees hing ihr vor dem Gesicht, und der Gestank nach ungewaschenem Körper erfüllte binnen weniger Sekunden den Innenraum.
    Alba wollte die Diebin packen und zurückhalten, als aus den Kleiderfetzen eine Ratte hervorpreschte und sie in den Arm biss. Alba stieß einen Schrei aus, und ihre Hand zuckte zurück, während das Mädchen mit dem Vogel davonhetzte.
    Zwischen zwei Atemzügen überlegte Alba, was sie tun sollte. Wegfahren und sich in Sicherheit bringen, war ihr erster Gedanke. Doch im selben Moment stieg sie schon aus und rannte der Entführerin hinterher.
    Das Mädchen jagte Neumühlen entlang, rein in die Große Elbstraße und weiter an den Lagerhallen vorbei, deren Schilder lebende Karpfen und Schleie anpriesen. Der Wind brachte Fischgeruch mit sich, über den Dächern kreisten Möwen wie Geier. Die rosa Gummistiefel der Diebin – der einzige Farbtupfer an der sonst schmutzig grauen Erscheinung – schlugen dumpf auf den Boden.
Die Verfolgungsjagd dauerte bereits gute zehn Minuten. Alba holte auf. Die Stunden im Fitnessstudio machten sich bezahlt, auch wenn der Sprint auf den hohen Absätzen eher weniger Spaß machte.
    Ein Maschendrahtzaun zu einer Baustelle versperrte der Fliehenden den Weg. Dahinter erstreckte sich ein langgezogenes mehrstöckiges Gebäude aus rotem Stein und mit hohen Fensternischen. Sieben Stockwerke waren bereits mehr oder weniger fertig gebaut, obwohl man an einigen Stellen noch durch das Baugerüst zur Elbe spähen konnte. Ein Kran und diverse Baumaterialien säumten den Platz. Leere Tür- und Fensterrahmen machten in der beginnenden Dämmerung einen gespenstischen Eindruck.
    Die junge Frau hob den Maschendraht an einer Stelle an und schlüpfte durch ein Loch im Zaun auf das Gelände.
    Alba kniete sich davor. Das Loch war viel zu klein, sie kam nicht hindurch. Mit einem kritischen Blick inspizierte sie den Zaun. Ihr blieb nichts anders übrig, als über ihn zu klettern. Schwitzend und ächzend erreichte sie die obere Kante. Ein Draht schlitzte ihre Jeans auf und ritzte ihren Oberschenkel.
    Alba sprang hinunter. Ihr Fuß knickte um, und der Schmerz fuhr ihr durch den Knöchel. Sie mühte sich auf die Beine und merkte, dass bei der Aktion ihr Absatz abgebrochen war. Ohne lange zu überlegen, schlug sie den anderen von der Sohle ab. Auszuruhen erlaubte sie sich nicht. Das Mädchen war bereits im Gebäude verschwunden.
Mit jeder Sekunde sanken die Chancen, es jemals zu finden. Und sie fühlte sich verantwortlich für den Vogel. Warum auch immer.
    Alba humpelte durch Sand- und Steinhaufen, bis sie an eine Öffnung in der Hauswand gelangte, durch die sie sich

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