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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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sie zum Überwintern in Leinsäcke. Sie bewegte sich erstaunlich flott zwischen den Büschen und Bäumchen, mit der Grazie und Leichtigkeit einer Fee. Nur dank des silbergrauen Haars erkannte Alba in ihr eine Rentnerin.
    Sie beobachtete die Frau und fragte sich, wie sie mit ihrem Handicap Juliane Dwenger befragen sollte. Es würde eine Ewigkeit dauern, und wer würde schon so viel Geduld für eine Stotternde aufbringen?
    Nun ja, das hättest du dir auch vorher überlegen können, verhöhnte sie sich. Alba schaute zum Garten, dann auf Hermanns Notizen, die sie mitgenommen hatte, und wieder zurück. Sie musste hingehen, wenn sie hier nicht Wurzeln schlagen wollte. Und dennoch ließ sie die Minuten verstreichen, ohne sich zu bewegen. Knusper, Knusper, Knäuschen …
    Nach längerer Betrachtung fiel ihr auf, dass die Frau mit jemandem redete. Manchmal richtete sich Juliane Dwenger auf und gestikulierte, in eine hitzige Diskussion vertieft. Doch weit und breit befand sich keine Menschenseele. Mit wem unterhielt sie sich?
    Der Wind wehte nur einzelne Silben herbei, schlauer wurde sie nicht daraus, bis sie auf einem Zaunpfosten einen Greifvogel bemerkte. Den Greifvogel. Je eingehender sie ihn musterte, desto überzeugter war sie, ihn bei der Kapelle und Hermanns Haus gesehen zu
haben. Was zum Teufel tat er hier? Und war Finn auch irgendwo in der Nähe?
    Das Tier neigte oder schüttelte den Kopf, breitete die Flügel aus, als würde es der Frau antworten. Alba ertappte sich bei dem Wunsch, sich die Augen zu reiben. Nein, das konnte unmöglich sein! Vorsichtig näherte sie sich dem Garten, um weder von Juliane Dwenger noch von dem Vogel bemerkt zu werden.
    Â»Ich kann es immer noch nicht glauben«, murmelte die Rentnerin und schnippelte an den Sträuchern. »Wann ist das passiert? Und wie?«
    Der Vogel stieß einen Laut hervor, ein kurzes, hohes »Wiih«, fast so, als würde er ihre letzte Frage wiederholen.
    Die Frau seufzte und hob kapitulierend die Hände. »Ach Junge, wieso musstest du unbedingt in deinem Seelentier zu mir kommen? Ich kann so nicht mit dir reden.«
    Sie sammelte die abgeschnittenen Zweige in eine Biotonne, schlug den Deckel zu und bemerkte Alba. Mit einem Mal wirkte sie verlegen. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Alba deutete auf das Tier. »G-ge-gehört …«
    Der Vogel drehte den Kopf. Bei Albas Anblick stieß er ein Krächzen hervor und schlug aufgeregt mit den Flügeln. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel in die Kirschlorbeerhecke. Was war denn das für ein Tollpatsch? Seit ihrer letzten Begegnung hatte er anscheinend verlernt zu fliegen.
    Die Frau wischte sich eine Strähne aus der Stirn. »Junge,
Junge … Was machst du jetzt für Sachen!« Sie streifte die Gartenhandschuhe ab, barg das zappelnde Tier aus den Sträuchern und setzte es neben sich auf dem Boden ab.
    Stockend und mit vielen Pausen brachte Alba endlich hervor: »Gehört der Vogel Ihnen?«
    Â»Ich kann nicht behaupten, diesen Vogel zu besitzen. Ich kümmere mich um ihn. Wenn er es zulässt. Aber Sie kennen sicherlich diese jungen Hüpfer – kaum sind sie aus dem Nest geflogen, schon haben sie ihre Alten vergessen.« Tadelnd sah sie auf den Vogel herab. »Du hättest mir wenigstens eine Karte zum Geburtstag schreiben können. Nun, wie auch immer. Ich bin nicht nachtragend.« Wieder galt ihre Aufmerksamkeit Alba. »Wollten Sie zu mir?«
    Alba nickte.
    Â»Einen Augenblick, bitte. Ich räume nur das Werkzeug in den Schuppen. Leisten Sie mir Gesellschaft bei einer Tasse Tee?«
    Alba schmunzelte. Sie mochte die Frau, auch wenn diese mit Vögeln redete.
    Juliane Dwenger sammelte das Werkzeug auf und verschwand hinter dem Haus. Mit dem Vogel allein gelassen, fühlte sich Alba seltsam. Hätte sie unbefangen reden können, hätte sie vielleicht sogar einen Smalltalk mit ihm angefangen. Aber nun dehnte sich die Stille wie ein Kaugummi aus, während das Tier sie musterte, auf eine menschliche Art und Weise, und sie versuchte, es standhaft zu ignorieren.

    Im Kirschlorbeer raschelte es. Plötzlich schoss eine getigerte Katze aus dem Gebüsch. Mit großen Sprüngen stürzte sie sich auf den Vogel und schlug ihre Krallen in seinen Körper. Alba schrie auf und sprang zur Seite. Noch nie hatte sie gesehen, dass Katzen eine so große Beute jagten.
    Die zwei Gegner kullerten über die

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