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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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und betrachtete den Aufkleber mit ihrer Adresse, der eine andere darunter zu verdecken schien.
    Georg verschwand hinter der Zeitung, dann lugte er über dem Blatt hervor. »Von wem ist er?«
    Alba drehte den Umschlag in der Hand. Kein Absender. Es war schon seltsam genug, einen Brief zu bekommen, der nicht nach Rechnung oder Werbung aussah. Aber einen Brief ohne Absender? Sie schlitzte das Kuvert mit dem Frühstücksmesser auf. In ihren Schoß fiel ein vierfach gefalteter Zettel, unsauber herausgerissen aus einem karierten Schulblock.
    Â»Und noch etwas«, redete Georg weiter. »Deine Eltern und mein Vater wollen einen Empfang zu deinem Geburtstag
veranstalten.« Georgs Mutter war vor einigen Jahren gestorben, ohne zu wissen, welches Leid sie ihrem Sohn vererbt hatte. Daraufhin hatte Albas Mutter ihn und seinen Vater vollkommen unter ihre Fittiche genommen. »Es wird schön, das verspreche ich dir.«
    Alba seufzte. Am liebsten hätte sie in aller Stille zusammen mit Georg gefeiert. Nur sie beide. Sie hasste Empfänge, bei denen sie sich von Menschen bedrängt und in der Masse verloren fühlte. Aber Veranstaltungen dieser Art gehörten zu dem feinen Leben, das ihre Eltern führten, und sie hatte es sich angewöhnt, die wohlerzogene Tochter eines reichen Geschäftsmannes zu spielen. Außerdem liebte Georg es, in einem Smoking bei Hamburgs Crème de la Crème zu glänzen.
    Er bemerkte ihre Miene und zwinkerte ihr zu. »Wird schon nicht so schlimm sein.« Dann zuckte seine Hand hoch, und er tat so, als wolle er sich am Hals kratzen. Das war etwas, was Alba zu übersehen gelernt hatte und was ihr immer aufs Neue zusetzte, weil sie den wahren Grund dafür kannte.
    Sie wandte den Blick ab. Ihr fiel gar nicht auf, wie sie den Zettel auseinandergefaltet hatte und jetzt auf die sieben Zeilen starrte, die ihr in einer krakeligen Schrift vom Blatt entgegensprangen.
    Wann treffen wir zwei uns das nächste Mal
Bei Regen, Donner, Wetterstrahl?
Wenn der Wirrwarr ist zerronnen,
Meine Schlacht wohl nicht gewonnen,
Noch vor Aufgang der Sonnen.

Wo der Ort?
Die Truhe dort!
    Unter dem Gedicht schmiegten sich die schmalen Buchstaben der Unterschrift aneinander: H. Herzhoff. Alba las die Worte immer und immer wieder, doch dadurch ergaben die Zeilen für sie nicht wesentlich mehr Sinn.
    Â»Was soll denn das?«, fragte Georg, der sich samt Stuhl zu ihr geschoben hatte und den Zettel ebenfalls studierte. »Da hat jemand die Macbeth-Zeilen reichlich durcheinandergeworfen.« Er wölbte die Brust und rezitierte theatralisch:
    Â» Wann treffen wir drei uns das nächste Mal
Bei Regen, Donner, Wetterstrahl?
Wenn der Wirrwarr ist zerronnen,
Schlacht verloren und gewonnen.
Noch vor Untergang der Sonnen.
Wo der Ort?
Die Heide dort!
    Da zu treffen Macbeth. Fort! « Georg hätte vermutlich gleich das ganze Theaterstück heruntergerattert, wenn Alba ihm nicht die Hand auf die Lippen gelegt und ihn zum Schweigen gebracht hätte. Er knabberte an ihren Fingern. »Bin schon still. Hm – nein, doch nicht. Wusstest du, dass die Hexen von einigen Literaturexperten als die wahren Hauptfiguren des Stückes gesehen werden? Und …«
    Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn an sich. Er verstummte, in ihrem Kuss ertrinkend. In einem
Kuss ohne Liebe, der ihr selbst schal wie abgestandenes Bier schmeckte. Dann ließ sie ihn frei und badete in seinem glückseligen Blick, bis sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Brief widmete.
    Da sie aus dem Zettel nicht schlau wurde, untersuchte sie das Kuvert. Auf der Innenseite hatte der Kugelschreiber unter dem Aufkleber einen Abdruck hinterlassen. Auch im Original war der Brief an sie adressiert gewesen, allerdings an die Anschrift ihrer Eltern geschickt worden. Wer immer ihr schrieb, kannte sie nicht sonderlich gut – dort wohnte sie seit knapp einem Jahr nicht mehr, nachdem Georg ihr ein Haus in Nienstedten, einem der schönsten Elbvororte Hamburgs, gebaut hatte und sie mit ihm zusammengezogen war. Er musste Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um hier ein Grundstück zu ergattern. Von den schwindelerregenden Preisen für das Land ganz zu schweigen. Und alles, damit Alba es nicht ganz so weit bis zu ihrem Elternhaus hatte. Heimisch sollte sie sich hier fühlen. Das rechnete sie ihm hoch an, obwohl sie eher ans andere Ende der Welt flüchten müsste, um sich irgendwo heimisch zu

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