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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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sich gar nicht!
    Wenn ich rede, werden wir mit dem Gespräch in hundert Jahren nicht fertig. Erbost stocherte Alba in ihrem Essen herum. Doch Evelyns Vorwurf wurmte sie.
    Â»Du kannst dir ruhig Zeit lassen. Ich bin untot. Für das nächste Jahrhundert habe ich noch nichts Besonderes vor.«
    Alba stieß ein Knurren hervor und angelte nach einem Bambusscheibchen, das stets ihren Stäbchen entglitt.
Die Aufforderung zum Reden beschloss sie zu ignorieren. Du hast ja gehört, was er über mich denkt. Prinzesschen! Pah.
    Â»Finn macht eine schwere Zeit durch. Gerade erst hat er sein Seelentier gefunden, mit dem er nicht sonderlich gut klarkommt, nun musste er aus der Gemeinde fliehen. Er durchlebt die Verschmelzungen mit dem Vogel, ohne sie kontrollieren zu können. Das ist eine schlimme psychische und physische Belastung. Wenn er das Ganze nicht auf die Reihe bekommt, dann ist es aus mit ihm. Ich hoffe sehr, er kriegt die Kurve noch.«
    Soll ich jetzt Mitleid mit ihm haben? , Alba wollte sich nicht eingestehen, dass sie gerade das tat. Was er durchmachte, konnte sie sich nicht vorstellen, und dennoch fühlte sie mit ihm. Damals auf dem Dachboden hatte er ihr Sachen aus seiner Vergangenheit anvertraut, die man normalerweise keinem erzählte. Alles nur ein Trug? Konnte jemand sich wirklich so verstellen? Sie wusste es nicht, aber sie wünschte sich den Abend zurück, an dem sie in ihm eine verwandte Seele gespürt hatte. Sie wünschte sich … Nein, Schluss mit dem sinnlosen Herumgewünsche. Werde doch erwachsen, Alba, und sieh der Wahrheit ins Auge.
    Sie wechselte das Thema, denn bei dem bisherigen fühlte sie sich wie auf dünnem Eis. Es zwang sie, über Sachen nachzudenken, die sie verdrängen, gar verleugnen wollte.
    Warst du wirklich früher ein Metamorph? Wie kann das sein? Und was ist mit dir passiert, dass du jetzt untot bist?

    Evelyn verzog das Gesicht. »Linnea ist meine Mutter, die Metamorph-Gene habe ich von ihr.«
    Â»W-was?« Alba verschluckte sich an einem Reiskorn und hustete.
    Â»Genau.« Die Nachzehrerin grinste und klopfte ihr auf den Rücken. »Ich musste auch fast brechen, als ich es erfahren habe. Aber dieser Teil von mir ist tot. Ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir lieber ein anderes Mal.«
    War dein Vater ein Nachzehrer?
    Â»Nein, ich denke, irgendeine Mächtige hat meiner Mutter den Fluch verpasst. Wäre ich davon nicht betroffen gewesen, würde ich sagen: ganz zu Recht.« Sie stand auf und begann, weiter die Kartons einzuräumen und sie mit einem Filzstift zu beschriften. Ihre Bewegungen wirkten hektisch und unbeholfen, als suche sie – wie Alba zuvor – nach einer Beschäftigung. »Linnea hat mir eine herzzerreißende Story aufgetischt und mir vorgeweint, mein Erzeuger wäre tot. Ich weiß nicht, was davon tatsächlich stimmt. Und wer auch immer für meinen Fluch verantwortlich ist, ich bin ihm dankbar. Ich bin glücklich mit Adrián, er lässt mich … fühlen, leben und lieben. Vor ihm wusste ich gar nicht, dass ich dazu fähig bin. Hoffentlich werde ich das auch noch sagen können, wenn wir ein paar Jahrhunderte Seite an Seite verbracht haben.« Sie zwinkerte Alba zu. »Man sagt, nach den ersten sieben kommt eine Krise.«
    Aber du bist eine richtige Nachzehrerin, oder? Eine Idee kam ihr in den Sinn, die so einfach klang, dass Alba sich
wunderte, an diese Lösung nicht schon vorher gedacht zu haben.
    Evelyn empfing die Überlegungen genauso einfach wie alles davor. »Oh, oh. Dein Gedankenverlauf gefällt mir nicht.«
    Doch Alba war nicht mehr aufzuhalten. Wenn du eine Nachzehrerin bist, kannst du mir meine Erinnerungen an die Entführung zurückgeben? Oder kann das nur derjenige tun, der sie auch versteckt hat?
    Evelyn blies sich eine Strähne aus der Stirn. »Nein, das kann jeder Nachzehrer tun, aber …«
    Dann hilf mir, bitte! Ich will sie zurück! Ich muss sie zurückbekommen.
    Â»Alba«, erwiderte Evelyn mit theatralischer Strenge. »Und was hat dir dein Großonkel zu dem Thema gesagt?«
    Er braucht es nicht zu erfahren. Alba legte die Stäbchen beiseite und wurschtelte in den Zeitungen, bis sie die richtige mit dem Artikel über den kleinen Patrick fand. Sieh dir das an! Es fängt wieder von vorn an. Jemand muss die Verantwortlichen stoppen. Ich muss die Verantwortlichen stoppen. Aber ohne meine Erinnerungen kann ich

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