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Nachtsplitter

Nachtsplitter

Titel: Nachtsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja von Vogel
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wenigsten vermutlich er selbst. Es war
     ein Schock. Manchmal glaube ich, meine Mutter hat ihn bis heute nicht überwunden.
    Von einem Tag auf den anderen änderte sich unser ganzes Leben. Die Witwenrente war sehr bescheiden und das Reihenhaus noch
     nicht abbezahlt. Meine Mutter musste wieder Vollzeit arbeiten, ich ging nachmittags in den Hort. Ich war zehn Jahre alt und
     hasste es dort. Ich fühlte mich schrecklich allein und zog mich immer mehr zurück.
    Prompt blieb ich in der fünften Klasse sitzen. Ich weiß noch, wie meine Mutter weinte, als sie vom Gespräch mit meiner Klassenlehrerin
     zurückkam. Wahrscheinlich machte sie sich Vorwürfe, weil sie so wenig Zeit für mich hatte. Aber für mich war die Ehrenrunde
     ein echter Glücksfall. Denn in meiner neuen Klasse wurde ich neben ein blondes, engelsgleiches Mädchen gesetzt. Pia. Sie schloss
     mich sofort ins Herz und ich sie auch. Nach der ersten Schulwoche waren wir unzertrennlich. Ich musste nicht mehr in den Hort,
     sondern durfte die Nachmittage bei Pia verbringen. Wir machten zusammen Hausaufgaben und spielten dann stundenlang Barbie.
     Endlich war ich nicht mehr allein.
    Ich stellte den Backofen aus, nahm die Topflappen vom Haken und holte die Lasagne heraus. Der Käse war goldbraun und es duftete
     göttlich. Aber ich hattekeinen Appetit. Selbst wenn mein Magen in Ordnung gewesen wäre, hätte die Lasagne wahrscheinlich nur nach schlechtem Gewissen
     geschmeckt.
    Das Klingeln des Telefons durchschnitt die Stille. Ich ließ die dampfende Auflaufform auf dem Herd stehen, wischte mir die
     Hände an der Jeans ab, die Pia mir geliehen hatte, und ging in den Flur.

6
    Ich nahm ab. Wir haben noch so ein altmodisches Telefon mit Kabel, was ziemlich nervig ist, wenn man mal in Ruhe mit jemandem
     quatschen will.
    »Hallo. Ich bin's.«
    Markus.
    »Hi.« Mehr fiel mir nicht ein.
    Auch Markus zögerte. Einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte er vorsichtig: »Wie geht's dir? Alles in Ordnung?«
    Mir wurde heiß. Wusste Markus, was los war? Aber woher? Hatte er mich gesehen? Mit Jakob und dem anderen Typen? Oder später?
     Wusste er etwas, das ich nicht wusste? Meine Handflächen fühlten sich plötzlich feucht an. Ich umklammerte den Telefonhörer,
     damit er mir nicht aus der Hand rutschte.
    »Klar«, sagte ich so normal wie möglich. »Wieso?«
    »Ach, nur so. Hast du bei Pia geschlafen?«
    »Das weißt du doch.« Meine Finger begannen wehzutun. Ich lockerte den Griff und wechselte den Hörer in die andere Hand. »Ich
     bin gerade erst nach Hause gekommen. Pia war heute irgendwie schräg drauf.«
    »Warum?«
    Bildete ich mir das nur ein oder war Markus beunruhigt? Nachdenklich wickelte ich das Telefonkabel um den Finger. »Keine Ahnung.
     Sie hat mich total früh aus dem Bett geworfen. Und beim Frühstück hat sie eine Bemerkung von mir in den falschen Hals gekriegt
     und ist fast ausgerastet.«
    »Sag mal, warum gehst du denn nicht an dein Handy?«, fragte Markus. »Ich versuch schon den ganzen Vormittag, dich zu erreichen.«
    Nein, er wusste nichts. Und er hatte auch nichts gesehen. Ich war so erleichtert, dass ich beinahe laut losgelacht hätte.
     Dabei war mir eigentlich überhaupt nicht nach Lachen zumute. Vielleicht wurde ich allmählich hysterisch.
    »Ich hab mein Handy verloren.«
    »Was?« Markus klang völlig irritiert. Kein Wunder, normalerweise hüte ich das Handy wie Gollum seinen Schatz. Ich habe es
     immer dabei und lasse es nie, nie, niemals irgendwo liegen. Es ist quasi untrennbar mit mir verbunden.
    »Ich muss meine Jeansjacke gestern verloren haben. Und das Handy steckt vorne in der Brusttasche.«Ich versuchte, einen munteren Plauderton anzuschlagen, damit Markus nicht weiter nachfragte. Natürlich funktionierte die Taktik
     nicht.
    »Du hast deine Jeansjacke irgendwo verloren? Warum zum Teufel?«
    Ich seufzte. »Es war ein Versehen, okay? Ich hab's nicht mit Absicht gemacht.« Ich beschloss, zum Angriff überzugehen, ehe
     das Gespräch in die falsche Richtung lief. »Wo hast du überhaupt gesteckt? Warum bist du einfach ohne mich abgehauen?«
    Ich hörte auf, mit dem Telefonkabel herumzuspielen, und ließ mich auf den Korbstuhl sinken, der neben dem Telefontischchen
     im Flur stand. Meine Beine fühlten sich plötzlich schwach an. Ich streckte sie aus und war froh, dass die Kratzer unter Pias
     Jeans verborgen waren. Ich wollte sie nicht sehen. Und ich wollte auf keinen Fall über Jakob reden. Oder darüber, was
vielleicht
in dem

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