Nachtsplitter
erfährst,
was passiert ist. Ich hab dein Handy verschwinden lassen und dir die Geschichte von unserer Knutscherei im Auto aufgetischt.«
»Zwischen uns ist an dem Abend also gar nichts gelaufen?«
Jakob schüttelt den Kopf. »Nein.«
Meine Finger fahren über die glatte, kühle Oberfläche des Handys. Jetzt fügt sich alles zusammen. Die merkwürdigen Träume,
meine Schuldgefühle, mein Interesse an dem Unfall, an Lena . . .
»Und?«, fragt Jakob. »War es die richtige Entscheidung? Unbedingt die Wahrheit wissen zu wollen?«
War es richtig? Oder falsch? Ich weiß es nicht. Noch nicht. Vielleicht werde ich es niemals ganz genau wissen. Ich weiß nur
eins: Die Wahrheit hat mein Leben verändert. Von einer Sekunde auf die andere. Nichts ist mehr so, wie es war. Nichts wird
je wieder so sein.
Ich sehe Jakob an. »Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Irgendwo tief in mir drin.«
»Hör mal, von mir erfährt niemand etwas. Wir tun einfach so, als wäre nichts passiert, okay? Wir vergessen die ganze Sache.«
Er fleht mich beinahe an.
Alles vergessen? Mein altes Leben weiterleben?Eine verlockende Vorstellung. Einfach nach Hause gehen, ins Bett, schlafen, morgen mit meiner Mutter Geburtstag feiern. Wie
jedes Jahr.
Als wäre nichts passiert
. . .
Aber ich weiß, dass es nicht funktionieren würde. Ich kann nicht so tun, als wäre nichts passiert. Das schwarze Loch ist jetzt
gefüllt mit Bildern, Gerüchen, Tönen. Mit der Wahrheit. Ich kann sie nicht ignorieren.
»Nein«, sage ich. »Ich gehe zur Polizei.«
»Hast du dir das gut überlegt?«, fragt Jakob.
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Aber ich werde es trotzdem tun.«
»Schlaf doch wenigstens eine Nacht drüber«, bittet er. »Du weißt ja nicht, wie das ist! Sie werden dich anklagen, du musst
vor Gericht, alle werden davon erfahren, dich anstarren, über dich reden . . .«
Ich stehe auf. Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Endlich. »Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen uns. Du warst unschuldig.
Ich bin es nicht.«
Jakob erhebt sich ebenfalls. »Soll ich mitkommen?«
Ich lächle. »Das wäre schön.«
Informationen zum Buch
Traue niemandem über den Weg. Am wenigsten dir selbst …
Ein tödlicher Unfall auf der Autobahn – und keine Zeugen. Deshalb sollen alle Besucher des nahe gelegenen Rockfestivals befragt
werden. Doch Jenny hat einen Filmriss und kann sich an nichts mehr erinnern. Nur dass sie halb nackt im Wagen eines Fremden
aufgewacht ist …
Informationen zum Autor
Maja von Vogel
wurde 1973 geboren und wuchs im Emsland auf. Sie studierte Deutsch und Französisch, lebte ein Jahr in Paris und arbeitete
als Lektorin in einem Kinderbuchverlag, bevor sie sich als Autorin und Übersetzerin selbstständig machte.
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