Nachtsplitter
den roten Golf auf.
Pia verzog das Gesicht. »Lass uns abhauen.«
Damit war das Thema vorerst erledigt. Die Frage war nur, für wie lange.
4
Zu Hause war es angenehm kühl. Meine Mutter war noch bei der Arbeit. Sie hatte mir einen Zettel auf den Küchentisch gelegt
mit dem Hinweis, dass noch Lasagne im Kühlschrank sei. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Manchmal hatte ich das Gefühl,
für sie war die Zeit seit Papas Tod stehen geblieben. Ob sie jemals aufhören würde, mich wie eine Zehnjährige zu behandeln?
Ich stellte einen Teller mit Lasagne in die Mikrowelle, ließ mich auf die Küchenbank fallen und griff nach meiner Jeansjacke.
Ich hielt sie an meine Nase und meinte, eine Spur von Jakobs Geruch wahrzunehmen. Ein bisschen Seife, irgendein Rasierwasser
und natürlich die Lederjacke. Ich stutzte. Momentmal – woher wusste ich eigentlich so genau, wie er roch?
Ich schob den Gedanken beiseite und griff in die vordere Jackentasche. Doch sie war leer. Hektisch suchte ich in den anderen
Taschen, einmal, zweimal, dreimal. Aber das Ergebnis blieb dasselbe: Das Handy war nicht da. Langsam ließ ich die Jacke sinken.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Ich wusste doch, dass irgendjemand mein Handy gefunden und mitgenommen hatte. Vermutlich
war es mir im Lauf des Abends aus der Jacke gefallen. Oder hatte Jakob es herausgenommen? Aber warum sollte er mein Handy
klauen?
Die Mikrowelle stellte sich mit einem Pling aus. Nachdenklich holte ich die dampfende Lasagne heraus, goss mir ein Glas Wasser
ein und setzte mich an den Küchentisch. Während ich lustlos in meinem Essen herumstocherte, zog ich die Zeitung zu mir heran
und blätterte sie durch. Der Unfall war natürlich der Aufmacher des Tages. Gleich auf der ersten Seite prangte eine Großaufnahme
des zerstörten Wagens, es folgten Hintergrundberichte über den Unfallhergang, die Unfallopfer und natürlich den aktuellen
Stand der Ermittlungen.
Ein Artikel war mit dem Foto des Polizisten versehen, der im Fernsehen interviewt worden war und der Lara und Marie befragt
hatte. Es handelte sich um einen gewissen Kommissar Lukowski, Leiter der Soko Autobahnbrücke. Jetzt gab es also schon eineeigene Sonderkommission. Der Fall schien wirklich ziemliche Wellen zu schlagen. Während ich mir eine Gabel Lasagne in den
Mund schob, begann ich zu lesen.
Der tragische Unfall nahe der Autobahnbrücke gibt der örtlichen Polizei weiterhin Rätsel auf. Kommissar Klaus Lukowski, Leiter
der Soko Autobahnbrücke, hat mit uns über den neuesten Stand der Ermittlungen gesprochen.
Tagesanzeiger:
Herr Lukowski, seit heute ist klar, dass eine von der Brücke geworfene Flasche den Unfall verursacht hat. Gibt es bereits
eine heiße Spur zum Flaschenwerfer?
Kommissar Lukowski:
Wir verfolgen zurzeit verschiedene Spuren. Es gab eine Menge Hinweise aus der Bevölkerung, denen wir nachgehen müssen. Außerdem
laufen immer noch die Zeugenbefragungen der Besucher des
Rock am
See -Festivals. Erst allmählich kristallisiert sich für uns ein ungefähres Bild des Tathergangs heraus. Doch bevor wir damit an
die Öffentlichkeit gehen, brauchen wir noch mehr Informationen.
TA:
Werden Sie den Täter fassen?
KL:
Da bin ich mir ganz sicher. An dem betreffenden Abend waren so viele Menschen auf der Autobahnbrücke und in der Nähe unterwegs,
irgendjemand muss etwas gesehen haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir den entscheidenden Hinweis bekommen.
TA:
Gibt es neue Informationen zu der Weinflasche, die den Unfall ausgelöst hat?
KL:
Allerdings. Unsere Kriminaltechniker konnten aus den Scherben, die wir am Unfallort gefunden haben, die Flasche samt Etikett
rekonstruieren. Es handelt sich um eine 1, 5-Liter -Flasche Lambrusco, ein Rotwein, der in zahlreichen Supermarkt-Filialen verkauft wird.
TA:
Konnten Sie Fingerabdrücke auf den Scherben sichern?
KL:
Dazu möchte ich aus ermittlungstaktischen Gründen nichts sagen.
TA:
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Gabel rutschte mir aus der Hand und landete klirrend auf dem Teller. Die Lasagne war inzwischen kalt geworden. Der Käse
war zu glitschigen Gebilden auf dem Spinat erstarrt. Aber mir war sowieso der Appetit vergangen. Eine leichte Übelkeit breitete
sich in meinem Magen aus, während die Gedanken durch meinen Kopf rasten. Es war eine Lambrusco-Flasche gewesen! Aus dem Supermarkt!
In diesem Moment war ich mir hundertprozentig sicher, dass das kein Zufall sein konnte.
Die
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