Nachtsplitter
Auf ihre Art hat sie
versucht zu kämpfen, wenigstens das.«
Ich hatte damals nicht gekämpft. Stattdessen hatte ich mich verkrochen und niemanden an mich herangelassen. Ich hatte den
Schmerz gegen mich selbst gerichtet statt gegen den, der ihn verursacht hatte.
Robin, dieser Mistkerl!
Wenn Pia nicht gewesen wäre, hätte ich mich so lange selbst zerfleischt, bis nichts mehr von mir übrig gewesen wäre. Pia war
damals meine Rettung. Und Markus natürlich. Pia und Markus . . . Ich schloss die Augen. Ich wollte jetzt nicht an sie denken.
»Vielleicht hast du recht«, sagte Jakob. »Vielleicht war es tatsächlich meine eigene Schuld. Aber wenn es so war, dann habe
ich dafür gezahlt. Und das nicht zu knapp. Willst du wissen, wie es weiterging?«
Ich nickte und Jakob erzählte.
»Nach der Party waren Liz und ich tatsächlich eine Weile so was wie zusammen. Aber es hat nicht funktioniert. Ich hab's ziemlich
schnell gemerkt. Ich war nicht in sie verliebt. Aber sie in mich. Sie hat nicht lockergelassen, ständig angerufen, ist nicht
von meinerSeite gewichen. Ich hab Schluss gemacht, aber sie hat es ignoriert. Erst als ich ihr ins Gesicht gesagt habe, dass ich sie
nicht liebe, hat sie es begriffen. Sie war völlig fertig, hat mich beschimpft. Ich hab sie rausgeworfen.« Jakob hielt kurz
inne, verloren in seiner Erinnerung. »Und eine Woche später stand die Polizei bei uns vor der Tür. Wir saßen gerade beim Abendessen.
Meine Eltern waren völlig aus dem Häuschen. Ich musste mit auf die Wache zum Verhör. Im Polizeiauto, mit uniformierten Polizisten.
Wenigstens haben sie mich nicht in Handschellen abgeführt. Aber für die Nachbarn hat es gereicht. Sie haben sich das Maul
zerrissen. Auf der Straße wurden meine Eltern nicht mehr gegrüßt. In der Schule hat niemand mehr mit mir geredet. Es war die
Hölle.«
»Und?«, fragte ich, als Jakob nicht weitersprach. »Wie ist der Prozess ausgegangen?«
»Liz hat sich in Widersprüche verwickelt, eine Gutachterin hat die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage angezweifelt. Ich wurde freigesprochen.
Aus Mangel an Beweisen.«
»Aber dann war doch alles gut. Warum seid ihr weggezogen?«
»Weil eben nicht alles gut war.« Jakob sah mich mit müden Augen an. »So ein Verdacht, der löst sich nicht einfach in Luft
auf. Der bleibt an dir kleben. Für immer. Ich hatte plötzlich keine Freunde mehr. Meinem Vater wurde in seiner Firma aus fadenscheinigenGründen die Beförderung verweigert, die eigentlich angestanden hätte. Wir bekamen anonyme Drohanrufe. Die Leute wollten uns
nicht mehr im Ort haben. Also sind wir gegangen. Wir wollten hier noch einmal neu anfangen. Die Vergangenheit hinter uns lassen.
Aber ich hätte wissen müssen, dass das nicht funktioniert.«
»Du hättest mit mir reden sollen«, sagte ich.
»Wirklich?«, fragte er. »Glaubst du, du hättest es verstanden?«
Ich überlegte, dann schüttelte ich den Kopf. »Ich weiß nicht. Es wäre zumindest einen Versuch wert gewesen.«
Jakob sah mich an. »Ja, vielleicht. Aber jetzt ist es zu spät, oder?«
Ich antwortete nicht. Vermutlich hatte er auch keine Antwort erwartet.
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Dann wurde zaghaft an die Tür geklopft. »Jakob?«, fragte eine Frauenstimme. »Bist du
das? Hast du Besuch?«
Seine Eltern waren also tatsächlich zu Hause.
»Warte. Bin gleich wieder da.« Jakob stand auf und ging aus dem Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich. Ich hörte ihn leise
mit seiner Mutter reden.
Jetzt merkte ich erst, wie erschöpft ich war. Meine Augenlider waren so schwer. Am liebsten hätte ich mich einfach auf dem
Sessel zusammengerollt, um einzudösen und an nichts mehr denken zu müssen . . .
Ein gedämpftes Klingeln riss mich aus dem Halbschlaf. Ich fuhr hoch und zog mein Handy aus der Hosentasche. Markus' Foto leuchtete
auf dem Display auf. Ich drückte den Anruf weg.
Um mich abzulenken, stand ich auf und ging zu Jakobs Musikanlage. Daneben auf der Fensterbank stapelten sich jede Menge CDs.
Ich stellte den C D-Player an und drückte auf Play. Die Musik, die leise aus den Boxen drang, kam mir sofort bekannt vor. Ich nahm die leere Hülle,
die auf der Fensterbank lag, aber der Name der Band sagte mir nichts. Ich runzelte die Stirn. Wo hatte ich diesen Song schon
einmal gehört?
Als es mir wieder einfiel, war ich plötzlich hellwach. Genau! Der Song war im Hintergrund gelaufen, als ich mein verlorenes
Handy angerufen hatte. Konnte das
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