Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
bemerkte, so machte er kein großes Aufhebens darum. Er reichte mir einfach einen Teller, auf dem bereits ein Hummersandwich lag. Dann zeigte er auf die anderen Köstlichkeiten, als wolle er sagen: »Bedien dich.«
Alles war perfekt. Was knusprig sein sollte - wie das Brot und die Panzanella und die getoasteten Brioche -, war noch immer knusprig, und nichts war zu kalt geworden, obwohl das Essen lange im Kofferraum gestanden hatte. Ich vermutete, dass dieselben Zaubertricks, die ausgebrannte Autos vor neugierigen Blicken verbergen konnten, auch ganz
praktisch waren, wenn es darum ging, ein Picknick zu perfektionieren.
Der Champagner trank sich wie Limonade, und es war ein unglaublich sinnliches Erlebnis, all diese Köstlichkeiten zu verspeisen, während ich einem Mann gegenübersaß, der meine Hände erzittern ließ, wenn er mich nur ansah.
»Erzähl mir von dir«, sagte ich und lächelte ihn aufmunternd an.
»Was willst du denn wissen?«, fragte er und lächelte zurück.
»Weiß nicht … was du mir erzählen willst.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich so … wohl bei dir«, versuchte ich es zu erklären, »aber eigentlich weiß ich rein gar nichts über dich. Wo du normalerweise lebst zum Beispiel. Und was du so machst.«
»Nun«, sagte er und leckte sich die Finger ab. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die meiste Zeit des Jahres lebe ich in Boston, dort ist sozusagen mein Basislager. Abgesehen von der Zeit, die ich auf unserem Herrschaftssitz, dem Verbund, verbringe. Der Verbund ist das Machtzentrum für dieses Territorium. Er befindet sich etwa eine Stunde außerhalb von Quebec. Ich bin Ermittler, das bedeutet, ich sorge dafür, dass in unserem Gebiet alles ohne Zwischenfälle abläuft. Wenn es irgendwelche heiklen Vorkommnisse gibt, kümmere ich mich darum und berichte direkt an den Verbund. Wenn meine Dienste also irgendwo gebraucht werden, dann schickt man mich hin, um das fragliche Problem zu lösen. So bin ich auch hier gelandet.« Er lächelte mich an, und mein Herz setzte bestimmt acht Schläge lang aus. Entweder war ich dabei, mich heftig in diesen Kerl zu verlieben,
oder ich hatte seit neuestem Herzrhythmusstörungen.
Er stellte seinen Teller ab und rutschte um das provisorische Tischchen herum, bis er neben mir saß. Meine Herzrhythmusstörungen gipfelten fast in einem Herzinfarkt. Ich zwang mich ruhig zu atmen.
»Und zur Frage, was ich so mache …«, sagte er und nahm sich eine Erdbeere. Ich wusste, dass er mich nun damit füttern würde.
»Ganz ruhig«, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, und ich wappnete mich für seinen bevorstehenden Annäherungsversuch. Aber mein Körper bettelte: »Füttere mich!«, wie die fleischfressende Pflanze aus Der kleine Horrorladen .
»Ich mag Musik und gehe oft ins Theater, besonders gern auch in die Oper. Allerdings bin ich kein Fan von Musicals. Ich umgebe mich gern mit Menschen, und ich mag ihre Popkultur. Was immer bei den Menschen gerade angesagt ist, ich versuche, so viel wie möglich darüber zu erfahren.«
Er hielt mir die Erdbeere an den Mund, und ich nahm mir Zeit, um genüsslich meine Lippen darum zu legen und ganz langsam abzubeißen. Er lächelte erfreut, und ich sah, dass seine Fänge ein wenig hervorgetreten waren. Dann führte er die Erdbeere an den eigenen Mund und verschlang den Rest. Nur den grünen Stumpf ließ er übrig und schnippte ihn mit den Fingern weg.
»Im Moment haben es mir besonders japanische Manga und Britpop angetan«, sagte er. »Ich weiß schon, dass ich bei Mangas ziemlich hinterher bin, und dass es außerdem ein ziemlich schräges Hobby ist, aber es macht mir trotzdem
Spaß. Besonders Appleseed hat mir gut gefallen. Da habe ich mir gerade erst die Fortsetzung bestellt.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, lächelte ihn aber trotzdem gebannt an. Entweder das, oder ich musste ihn auf der Stelle vernaschen. Eine andere Alternative gab es in dem Moment nicht.
»Warum reagiere ich nur so auf diesen Typen?«, fragte ich mich. Ich benahm mich wie ein hormongesteuerter Dreizehnjähriger, der das erste Mal einen Playboy in die Hand bekommen hatte. »Total lächerlich. Reiß dich zusammen, Mädchen«, ermahnte ich mich selbst. Ich hatte wirklich keine Ahnung, warum ich mich so zu Ryu hingezogen fühlte. Sicher, er war absolut umwerfend, aber das allein erklärte noch nicht, warum ich in seiner Gegenwart völlig die Selbstkontrolle und jede Hemmung verlor.
»Das ist doch ganz einfach«, nölte meine
Weitere Kostenlose Bücher