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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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sagt ihr mir das, das ändert doch nicht das geringste.«
    Was ist die Erwiderung?
    »Verschwende deine Zeit nicht, mach aus ihr etwas Lohnendes .«
    Doch was kann das heißen: lohnend? Endlich dazu übergehen, langgehegte Wünsche zu verwirklichen. Den Irrtum angreifen, daß dafür später immer noch Zeit sein wird. Das Memento als Instrument im Kampf gegen Bequemlichkeit, Selbsttäuschung und Angst, die mit der notwendigen Veränderung verbunden ist. Die langerträumte Reise machen, diese Sprache noch lernen, jene Bücher lesen, sich diesen Schmuck kaufen, in jenem berühmten Hotel eine Nacht verbringen . Sich selbst nicht verfehlen.
    Auch größere Dinge gehören dazu: den ungeliebten Beruf aufgeben, aus einem gehaßten Milieu ausbrechen. Tun, was dazu beiträgt, daß man echter wird, näher an sich selbst heranrückt.
    Von morgens bis abends am Strand liegen oder im Café sitzen: Auch das kann die Antwort auf das Memento sein, die Antwort von einem, der bisher nur gearbeitet hat.
    »Denk daran, daß du einmal sterben mußt, vielleicht morgen schon.«
    »Ich denke die ganze Zeit dran, deshalb schwänze ich das Büro und lasse mich von der Sonne bescheinen.«
    Die scheinbar düstere Mahnung sperrt uns nicht in den verschneiten Klostergarten. Sie öffnet den Weg nach draußen und erweckt uns zur Gegenwart.
    Eingedenk des Todes die Beziehung zu den anderen begradigen. Eine Feindschaft beenden, sich für getanes Unrecht entschuldigen, Anerkennung aussprechen, zu der man aus Kleinlichkeit nicht bereit war. Dinge, die man zu wichtig genommen hat, nicht mehr so wichtig nehmen: die Sticheleien der anderen, ihre Wichtigtuerei, überhaupt das launische Urteil, das sie über einen haben. Das Memento als Aufforderung, anders zu fühlen .
    Die Gefahr: Die Beziehungen sind nicht mehr echt und lebendig, weil ihnen der momentane Ernst fehlt, der eine gewisse Distanzlosigkeit voraussetzt. Auch: Für vieles, was wir erleben, ist entscheidend, daß es nicht mit dem Gedanken an die Endlichkeit verbunden ist, eher mit dem Gefühl, daß die Zukunft noch sehr lang sein wird. Es hieße, dieses Erleben im Keim zu ersticken, wenn das Bewußtsein des bevorstehenden Todes einsickern würde.
     
    Gregorius erzählte von dem Iren, der sich traute, im All Souls College zu Oxford mit einem knallroten Fußball zum Abendvortrag zu erscheinen.
    »Amadeu hat notiert: Was hätte ich darum gegeben, der Ire zu sein! «
    »Ja, das paßt«, sagte Maria João, »das paßt genau. Vor allem paßt es zum Anfang, zu unserer ersten Begegnung, in der, wie ich heute sagen würde, bereits alles angelegt war. Es war in meinem ersten Jahr in der Mädchenschule beim Liceu. Wir hatten alle einen Heidenrespekt vor den Jungs drüben. Latein und Griechisch! Eines Tages dann, es war ein warmer Morgen im Mai, ging ich einfach hinüber, ich hatte genug von dem blöden Respekt. Sie spielten, sie lachten, sie spielten. Nur er nicht. Er saß auf der Treppe, hatte die Arme um die Knie geschlungen und sah mir entgegen. Als warte er schon seit Jahren auf mich. Hätte er nicht so geguckt – ich hätte mich nicht einfach neben ihn gesetzt. Doch so schien es das Natürlichste der Welt.
    ›Du spielst nicht?‹ sagte ich. Er schüttelte kurz und knapp den Kopf, fast ein bißchen unwirsch.
    ›Ich habe dieses Buch gelesen‹, sagte er in dem sanften, unwiderstehlichen Ton eines Diktators, der noch nichts von seinem Diktat weiß und es in gewissem Sinne nie wissen würde, ›ein Buch über Heilige, Thérèse de Lisieux, Teresa de Ávila und so weiter. Danach kommt mir alles so banal vor, was ich tue. Einfach nicht wichtig genug. Verstehst du?‹
    Ich lachte. ›Ich heiße Ávila, Maria João Ávila‹, sagte ich.
    Er lachte mit, aber es war ein gequältes Lachen, er fühlte sich nicht ernst genommen.
    ›Es kann nicht alles wichtig sein, und nicht immer ‹, sagte ich, ›das wäre ja furchtbar.‹
    Er sah mich an, und jetzt war sein Lächeln nicht gequält. Die Glocke des Liceu bimmelte, wir trennten uns.
    ›Kommst du morgen wieder?‹ fragte er. Es waren nicht mehr als fünf Minuten vergangen, und es bestand bereits eine Vertrautheit wie nach Jahren.
    Natürlich ging ich am Tag darauf wieder hinüber, und da wußte er schon alles über meinen Nachnamen und hielt mir einen Vortrag über Vasco Ximeno und den Grafen Raimundo de Borgonha, die von König Alfonso VI von Kastilien in den Ort entsandt worden waren, über Antão und João Gonçalves de Ávila, die den Namen im 15.

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