Nachtzug
Ruhe zu gebieten.
Der Torwächter war über das plötzliche Auftauchen eines fremden Soldaten in Waffen- SS -Uniform sichtlich verblüfft und hielt seine Maschinenpistole im Anschlag, während er dem Eindringling nacheilte.
Keppler rannte direkt auf den Wartungsschuppen zu und blieb kurz vor dem Eingang stehen, um der Torwache heiser zuzuflüstern: »Los, Mann! Hier drinnen ist ein Dieb! Fassen wir ihn!«
Keppler stürzte in den dunklen Raum und duckte sich sofort neben der Tür. Als der Torwächter hereinkam, holte Hans mit dem Bleirohr aus und schlug dem Mann mit voller Wucht gegen die Kehle. Der Wachposten fiel hin und faßte nach seinem zerschmetterten Kehlkopf. Rasch stieß Keppler seinen Helm weg und versetzte ihm einen zweiten Schlag auf den Hinterkopf. Der Wachsoldat war auf der Stelle tot.
Keppler wartete ein paar Sekunden in der Totenstille der Werkstatt und lauschte auf das rasende Pochen seines Herzens. Als er das Zittern seiner Hände bezwungen und sich versichert hatte, daß niemand aufmerksam geworden war, stahl er sich rasch zu dem Motorrad, ließ den Motor an und fuhr durch das Tor davon.
Nachdem sie am nördlichen Kontrollpunkt ihre Reisegenehmigung vorgezeigt hatte, ließ Maria geduldig die Desinfektion mit DDT über sich ergehen. Dann überquerte sie die Grenzlinie und blieb stehen, um Pfarrer Wajda noch einmal zuzuwinken.
Traurig lächelnd winkte er zurück und sah Dr. Duszynska nach, wie sie sich über die Landstraße entfernte. Bald würde sie dort auf die langen Flüchtlingszüge stoßen, die sich ziellos durch Polen bewegten.
{333} Hans Keppler war nicht allein, als er wenig später mit dem Motorrad über die holprige Landstraße fuhr. Im Beiwagen saß ein anderer Waffen- SS -Soldat, ebenfalls ein Rottenführer, dessen Uniform der seinen aufs Haar glich. Tatsächlich war es Kepplers Ersatzuniform, die er damals mit nach Sofia gebracht hatte.
Während sie an diesem schneidend kalten Morgen unter Birken und Pappeln hindurchfuhren, kam es ihm fast wie eine Ironie des Schicksals vor, daß er eine Zeitlang erwogen hatte, beide Uniformen zu vernichten. Jetzt würden sie ihnen möglicherweise das Leben retten. Und das Grau stand Anna übrigens sehr gut.
Die Frühnebel lichteten sich, und ein herrlich klarer Morgen brach an, als die Frühlingssonne über den Ausläufern der Karpaten aufging. Trotz seiner Müdigkeit fühlte sich Hans frei und glücklich. Sie waren die ganze Nacht hindurch gefahren und hatten noch einen langen Weg bis zur rumänischen Grenze vor sich. Doch allein die Tatsache, daß sie Sofia und die Sperrzone unbeschadet hinter sich gelassen hatten, machte ihn ganz zuversichtlich.
»Ich denke, wir sollten uns langsam nach einem sicheren Rastplatz für den Tag umsehen«, sagte er zu dem Soldaten im Beiwagen. »Ich möchte jeden Kontakt vermeiden, bis wir außerhalb Polens sind.«
Bisher war es ihnen gelungen, die Kontrollpunkte auf staubigen Feldwegen geschickt zu umfahren, und sie waren keinem einzigen Deutschen begegnet. Doch Hans wußte, wenn sie erst die Gebirgsregion erreichten, mußten sie auf der Hauptstraße bleiben, sonst gäbe es mit dem Motorrad kein Vorwärtskommen mehr.
Ein Ulmenwäldchen, das einen Kilometer abseits des Weges lag, schien einen guten Schutz vor Passanten zu bieten. Keppler lenkte das Motorrad von der Straße weg über eine ausgedehnte, üppige Wiese auf das Gehölz zu. Sie parkten das Gefährt unter den Bäumen und tarnten es mit Zweigen. Dann drangen sie mit ihrer spärlichen Habe ins Dickicht ein, um einen Ruheplatz zu finden.
Ein aufgeschreckter Hirsch brach aus seinem Versteck unter den Zweigen hervor und ließ Keppler blitzschnell zu seiner Pistole greifen, bevor er merkte, daß keine Gefahr drohte. Sie breiteten eine Decke auf dem grasbewachsenen Boden aus, aßen herben Käse und hartes Brot, das sie als Wegzehrung mitgebracht hatten, und schliefen bald darauf eng umschlungen ein.
{334} Am späten Vormittag wachten sie wieder auf. Nach einem weiteren kleinen Imbiß streiften sie durch das Gehölz und genossen den herrlichen Tag. Obgleich die größten Gefahren und Strapazen noch vor ihnen lagen, wollte das junge Paar jetzt nur für den Augenblick leben und an nichts anderes denken. Als sie an einen schmalen Flußlauf kamen, der eisiges Wasser von den fernen Karpaten heranführte, watete Hans hinein und fing mit bloßen Händen zwei Fische.
Am Nachmittag legten sie sich noch einmal zur Ruhe. Später entzündeten sie zum Braten des
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