Nachtzug
geräumt hätten, wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt wären, gegen die Russen zu kämpfen.«
Dr. Szukalski richtete sich auf und betrachtete den im Gebet versunkenen Christus auf dem Gemälde. »Kann es sich nicht nur um ein geschicktes Propagandagerücht handeln, Herr Pfarrer?«
»Wenn Sie dabei gewesen wären, Jan, dann wüßten Sie, daß der Junge die reine Wahrheit gesagt hat.«
»Junge?«
»Ein junger Soldat aus der Waffen- SS . Ich kann Ihnen seinen Namen nicht nennen, aber er ist jung und sensibel genug, um die Verbrechen zu erkennen, an denen er durch seine Tätigkeit mitschuldig wird. Er dient nicht freiwillig, Jan, man hat ihn zwangsverpflichtet. Seit über einem Jahr ist er Aufseher in Oświęcim, und er hat mir die … unglaublichsten Dinge gestanden.«
»Ja …, was er sagt, ist wahr.« Szukalskis Stimme wirkte entrückt. »Sie müssen wissen …, es ist gerade drei Wochen her, da ist ein Freund von mir durch Oświęcim gekommen, und er hat den fürchterlichen Gestank erwähnt, der über dem Ort liegt, und daß die Einwohner sich darüber beklagen. Es habe nach verschmortem Fleisch gerochen. Damals habe ich seinem Bericht nur wenig Beachtung {71} geschenkt. Aber jetzt, wo …« Jan Szukalski bedeckte sein Gesicht mit den Händen und rieb sich die Augen. »Juden und Zigeuner, sagen Sie …« Jetzt wandte er sich um und schaute den Priester an. »Herr Pfarrer, wir haben da gerade einen Patienten, der …«
Szukalski erzählte ihm die Geschichte des Zigeuners, den man bei Milewskis Hof gefunden hatte, und fügte schließlich hinzu: »Bevor er in Ohnmacht fiel, hat der Mann dem Bauern noch verraten, daß die Männer, die das Gemetzel begingen, einen Totenkopf auf ihrer Uniform trugen.«
»Die SS ? Aber warum denn, warum um Himmels willen?«
Jan Szukalski rang seine Hände. »Ich weiß es nicht, Herr Pfarrer, ich weiß nicht, was vor sich geht.«
Und während er, von Entsetzen gezeichnet, in das Gesicht seines Freundes starrte, vernahm Szukalski, ganz beiläufig, ein gedämpftes Kratzen. Als er erkannte, woher es kam, entfernte er sich langsam vom Feuer und humpelte zur Küchentür, die er einen Spalt breit öffnete. Dort gewahrte er das kleine Gesicht seines Hundes Djapa, der gespannt zu ihm aufblickte. Jan Szukalski betrachtete den Hund, sah seine feuchten braunen Augen und die nasse Nase, und dachte: was für ein unschuldiges Geschöpf. Dann öffnete er die Tür ganz weit, und der junge Hund machte einen Satz aus der Küche, hüpfte ungestüm über den Fußboden und landete schließlich auf dem Schoß des Priesters.
»Djapa, Djapa«, murmelte Piotr Wajda, während der Hund ihm mit seiner nassen Zunge die Wangen leckte.
Als Jan Szukalski zum Kamin zurückkehrte, meinte er: »Ich glaube, ich habe das alles kommen sehen. Man muß schon sehr naiv sein, wenn einen die finsteren Wolken am Horizont nicht an ein Gewitter denken lassen.«
Wajda nickte nachdenklich, während er den zottigen Hund auf seinem Schoß streichelte. »Deswegen mußte ich Ihnen ja auch erzählen, was ich bei der Beichte erfahren habe, Jan. Ich wollte, daß Sie wissen, was uns möglicherweise in Zukunft bevorsteht. Aber ich wollte auch aus einem anderen Grund, daß Sie es wissen.« Er hob den Kopf und blickte seinen Freund an. »Der Soldat, der mir das alles gebeichtet hat, will Selbstmord begehen.«
{72} Hans Keppler stand vor einer Tür, das Gewehr in der Hand. Aus irgendeinem Grund hatte sich der blaue Himmel bedeckt und war von einer metallisch schimmernden Wolkenschicht überzogen. Das Warten zog sich hin. Er konnte hören, wie sich ein SS -Lagerwärter auf der anderen Seite des Gebäudes vergeblich bemühte, den Motor des Diesel-Lkw anzuwerfen. Unablässig bemühte er sich, es kreischte und knirschte, während man aus den Betonkammern auf Kepplers Seite unterschwellig und schwach das Schluchzen und Schreien der Menschen vernahm, die darum flehten, freigelassen zu werden.
Die Verzögerung machte Keppler nervös. Die Auspuffgase aus dem Lkw mußten endlich in die Kammern dieses Gebäudes eingeleitet werden, um zu verhindern, daß sich unter den Eingeschlossenen Panik ausbreitete. Sie warteten genauso ungeduldig wie er, denn man hatte sie schon vor mehr als einer Stunde in diese Kammer gedrängt, in der sie so eng zusammengepfercht waren, daß nicht ein einziger Gefangener mehr hineingepaßt hätte und niemand sich auch nur rühren konnte. Männer, Frauen, Kinder, alle hatten sie ihre Kleider ablegen müssen,
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