Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
Vom Netzwerk:
aufgehängt!«
    »O mein Gott …« Szukalski wandte sich von ihr ab.
    »Er sagte, es seien Partisanen und daß sie dem Reich Benzin und Lebensmittel gestohlen hätten. Und er hat auch gesagt, daß sie von jetzt an jeden hängen, wenn er nur einen Partisanen zum Nachbarn hat!«
    Szukalski fuhr herum, und bevor Maria noch mehr erzählen konnte, hob er die Hand, in der sich noch das Telegramm befand, und reichte es ihr.
    Maria hielt ihre Tränen zurück und blickte auf das kleine gelbe Papierstück. Vorsichtig, so als könne sie sich die Finger daran verbrennen, nahm sie das Telegramm und starrte es eine Weile an. Schließlich begann sie, es zu lesen. Ihre Hände zitterten so stark, daß sie {194} einige Sekunden brauchte, um den Inhalt zu erfassen. Als sie das letzte und entscheidende Wort las, ließ Maria ihren Tränen freien Lauf.
    »O Jan«, murmelte sie leise, »das Ergebnis ist positiv … Positiv!«
    »Ein wertloses Experiment, das zwei Jahre her ist«, kommentierte Szukalski ruhig, »und jetzt kann ich damit Leben retten.«
    Maria blickte auf. Auf ihrem Gesicht zeigten sich rote Flecken, ihre Lippen zitterten, ihr Blick war rührend wie der eines Kindes. Sie wiederholte immer wieder dasselbe Wort: »Positiv …«
    »Der alte Wilk wird niemals erfahren, wie sehr er uns geholfen hat. Es ist der OX -19-Stamm, Maria. Und mit ein bißchen Glück und Ausdauer könnten wir es schaffen, die größte Fleckfieberepidemie seit Jahren auszulösen.«
     
    Bevor er Keppler die Neuigkeiten überbrachte, ermahnte Szukalski ihn, seine Freude zu zügeln und sich bedrückt zu geben. Dann fuhr er mit seinen Ausführungen fort: »Jetzt beginnt eine neue Phase, Keppler. Ich werde Schmidt berichten, daß Sie eindeutig an Fleckfieber erkrankt sind, daß Sie Ihren Dienst nicht versehen können und daß Ihre Vorgesetzten warten müssen, bis Sie wieder genesen sind.«
    Keppler nickte, erleichtert, daß er die neun Tage des Wartens hinter sich hatte und das Experiment gelungen war. »Und meine Großmutter?«
    »Ich habe ihr gesagt, daß die Ergebnisse meine Diagnose bestätigen. Natürlich ist sie nicht glücklich, aber ich habe ihr versichert, daß Sie eine Überlebenschance haben.«
    »Und Anna?«
    »Anna ist Krankenschwester. Sie weiß um Ihre Aussichten.«
    »Was werden Sie jetzt tun, Doktor?«
    »Jetzt müssen einige Probleme gelöst werden. Um die Wahrheit zu sagen, Keppler: Ich hätte niemals gedacht, daß wir überhaupt so weit kommen; für mich schien es zu schön, um wahr sein zu können. Aber nun sind wir an diesem Punkt angelangt und müssen jetzt entsprechend vorsichtig vorgehen. Zuerst einmal werden Sie noch eine Weile das Bett hüten, und Dr. Duszynska und ich werden mit Unterstützung von Pfarrer Wajda einen Weg finden müssen, um unsere ›Epidemie‹ zu verbreiten.«
    {195} Piotr Wajda blickte auf seine großen Hände, während Jan Szukalski redete. Sie waren jetzt schon eine Stunde hier unten, und der Geruch wurde ihnen fast unerträglich. Aber irgend etwas beunruhigte den Priester, etwas, was er bedauerte, aussprechen zu müssen, auch wenn es unvermeidlich war. Als der Doktor ihm die Neuigkeiten berichtet hatte, versetzte Piotr Wajda ohne jede Umschweife: »Wir können den Jungen nicht wieder den Nazis überlassen.«
    Und er war nicht überrascht, als Szukalski entgegnete: »Ja, daran habe ich auch schon gedacht.«
    »Jan, wir beide wissen doch ganz genau: Wenn er Sofia verläßt und außerhalb unseres Einflußbereiches gerät, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, daß alles auffliegt. Vielleicht wird er ja wirklich nichts sagen und das Geheimnis für sich behalten. Aber seine fürchterlichen Alpträume und daß er im Schlaf spricht, all das stellt eine große Gefahr dar. Denken Sie nur daran, wenn er nach Auschwitz zurückkehrt …« Jan nickte. »Piotr, wie gesagt, ich habe bereits darüber nachgedacht. Wenn wir mit unserem Plan fortfahren wollen, darf er Sofia nicht verlassen. Niemals!« Jan zögerte einen Augenblick, aber seine Stimme klang stark und fest. »Nichts wird mich jetzt mehr aufhalten, nicht jetzt, wo ich sehe, wie mein Impfstoff die Einwohner von Sofia vor den Todeslagern retten kann.«
     
    Jan Szukalski stand vor dem Bild der Heiligen Jungfrau, die von ihrem Platz zwischen Kamin und Fenster auf ihn herabblickte. Als gläubiger Mensch wandte er sich einerseits um Hilfe an die Mutter Gottes, während er gleichzeitig, als analytischer und pragmatisch denkender Mensch, Trost im Werk und Verstand

Weitere Kostenlose Bücher