Nackt schlafen ist bio
genau das in den Abfallkörben zu finden). Also schrieb ich meinen Blogeintrag, ging zur Arbeit und teilte meinem Ressortleiter mit, dass es mir wirklich leidtue, aber ich könne die Story, die am Montag erscheinen sollte, erst nach Redaktionsschluss abgeben, denn der Bürgermeister habe gesagt, ich solle um 14 Uhr für 20 Minuten Müll sammeln. Und ob er mich nicht dabei begleiten wolle?
Er lehnte ab, aber meine Kollegin Maryam hatte unsere Unterhaltung mitgekriegt und bot an, sich anzuschließen. Dann stürmte unverhofft Genevieve, eine unserer Redakteurinnen, auf uns zu und beteuerte, dass sie leidenschaftlich gern Müll sammele, was sie mit hektischen Handbewegungen untermalte.
»Meine Eltern haben einen Campingplatz«, erklärte sie, »und als ich klein war, war es meine Aufgabe, dort herumzulaufen und alles aufzulesen, was auf dem Boden lag – bei meinem Vater musste immer alles blitzblank sein, darin war er sehr streng, wir mussten sogar Sonnenblumenkernhülsen und Zigarettenkippen wegräumen. Ich bin also sozusagen genetisch vorbelastet, darum hebe ich Müll auf, wo immer er mir unterkommt!«
Das sollte mir nur recht sein. Wir schnappten uns einige der Plastiktüten, in denen unsere Kollegen sich ihr Mittagessen mitgebracht hatten, klauten ein paar Gummihandschuhe aus der Teeküche und gingen durch den Hinterausgang zum Parkplatz. Diese Ecke, ja das ganze Viertel, falls man es überhaupt so nennen kann, ist eine Vorstadt der schlimmsten Sorte. Die Straße zwischen Leslie und Don Mills heißt Lesmill, als wäre Originalität ein mysteriöses Phänomen, das nur in Innenstädten vorkommt. Das nächstgelegene Restaurant nennt sich Tako Sushi und befindet sich in einem graubraunen Betonblock zwischen Eisenbahnschienen auf der einen und der Dienststelle der Parkraumüberwachung der Toronto Police auf der anderen Seite. Nicht selten sieht man hier auch ein, zwei Kanadagänse, die, völlig stoisch (na ja, so sehen sie eigentlich immer aus), zwischen den Honda Civics und Ford-Taurus-Limousinen herumlaufen und -picken. Es ist also einerseits recht angenehm, die frische Luft einzuatmen, andererseits ist diese Umgebung leider keine belebende Abwechslung zu den grauen Teppichen, den Leuchtstoffröhren und Lamellenjalousien drinnen. Und obwohl wir alle nach Bewegung gierten, war Müllsammeln nicht ganz dasselbe wie Spinning im Fitnessstudio oder Bikram Yoga. Unsere Begeisterung war also etwas gedämpft.
Doch wir machten uns unverzüglich ans Werk, und dank der vielen Schmutzfinken, die bei der Post arbeiten und einen Mülleimer offenbar nicht einmal dann erkennen, wenn er direkt neben dem Eingang steht, hatten wir unsere Mülltüten schon fast gefüllt, noch ehe wir die Parkplatzeinfahrt erreicht hatten. Die Arbeit ging uns leicht von der Hand, und als wir am anderen Ende der Straße Leute sahen, die ebenfalls mit Handschuhen und Müllsäcken bewaffnet dasselbe taten wie wir, huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Begriffe wie »Gemeinschaft« und »Bürgersinn«kamen mir in den Sinn, doch genau da passierte es – etwas so Widerliches, Ekelerregendes, dass ich zu Tode erschrak: Ich bückte mich und hob eine weggeworfene Coladose auf, die überraschend schwer war. Ja, richtig schwer. Entsetzt ließ ich sie fallen, schüttelte die Hand, unterdrückte den Brechreiz und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was da drin sein mochte – ein totes Tier? Kacke? Ein totes Tier, das in seiner Kacke verendet war? In einer Getränkedose? Aber was sonst? Was hatte das kleine Ding so schwer gemacht? Ich konnte diese Gedanken nicht verdrängen und fasste den unumstößlichen Beschluss, künftig nie wieder Müll aufzuheben, der eine Öffnung hat. Oder nass oder vergammelt ist oder möglicherweise lebt.
29. APRIL , 60. TAG
Jeden Tag etwas Neues über Umweltschutz lernen
Die Green Living Show war die reinste grüne Pest, ich wurde mit einer Konsumgeilheit konfrontiert, die meine Motivation, weiterzumachen, fast gänzlich erstickte. Eigentlich wollte ich mit dem Besuch der Öko-Messe erstmals meinen Vorsatz des heutigen Tages umsetzen, ab sofort täglich mein Wissen über die Umwelt zu erweitern. Aber nachdem ich in einem riesigen Kongresszentrum in Torontos West End drei Stunden lang jeden einzelnen Gang auf und ab geschlendert war, mir bei jedem Stand und jeder Ausstellung mit bedächtigem Nicken und großen Augen angehört hatte, wie Verkäufer/Unternehmer/Entwickler etc. detailliert und ein bisschen zu langatmig erklärten,
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