Nackt schlafen ist bio
woraufhin mir Meghan ihr offizielles Plazet gab; es komme einzig und allein darauf an, dass ich glücklich sei, sagte sie.
»Ich glaube, das bin ich«, erwiderte ich.
Ein paar Abende danach rief Ian an. Er habe Eintrittskarten für das Architecture in Helsinki -Konzert am Mittwoch in der Oper – ob ich mitwolle? Klar, antwortete ich, aber könne ich auch Mark mitbringen, der zurzeit bei mir wohne und an dem Abend nichts anderes vorhabe? Da Ian immer gern neue Leute kennenlernt – und sich nun »achtsam« mit dieser Bereitschaft auseinandersetzt –, willigte er sofort begeistert ein. Wir trafen uns bei ihm zu Hause und gingen dann auf einen schnellen Happen in ein Imbisslokal, das Öko-Milchprodukte und Rindfleisch aus Weidehaltung auf der Speisekarte hat. Unterwegs dorthin brach Ian eine Diskussion über die Ästhetik postmoderner Architektur bei lokalen Wohnungsbauinitiativen vom Zaun; Mark schwieg dazu. Woraufhin Ian das Niveau auf »Dieses Haus ist grauenhaft, das ist cool« senkte, doch immer noch kein Wort von Mark. Wir überquerten den Don River und kamen zu dem Imbisslokal, wo Ian und ich Poutine (Pommes und Käse in Bratensauce getränkt), Zwiebelringe und Bier bestellten; da Mark auf der Karte nur Fleisch, Käse und Transfette las und auch etwas gegen Alkohol hatte, bestellte er nichts. Auf dem Weg ins Konzert sprachen Ian und ich über unsere Hassliebe zur Subkultur; ich merkte, wie Mark jedes Mal die Luft anhielt und die Augen zusammenkniff, wenn wir an einem Raucher vorbeikamen. In der Oper angekommen, bestellten wir noch mal Bier, daraufhin fragte Mark, ob der Fußboden klebrig sei oder es an seinen Schuhen liege. (Ich war versucht, »Es sind deine Schuhe« zu antworten, denn so ist das nun mal, wenn man mit Wanderstiefeln ins Konzert geht.) Ian versuchte unermüdlich, ein Gespräch mit ihm in Gang zu bringen, er löcherte ihn mit Fragen nach Portland, Musik und globaler Erwärmung. Mark sagte etwas in der Art, dass wir eine Umweltkatastrophe von apokalyptischen Ausmaßen brauchten, die eine signifikante Zahl von Menschen ausradierte, dann würden die Leute vielleicht endlich bereit sein, auf ihre SUV s zu verzichten und verantwortungsbewusst zu leben. Nun verstummte Ian, er kniff die Augen zusammen und schüttelte mit offenem Mund den Kopf. Ihm lagen ganz offensichtlich Dutzende möglicher Erwiderungen auf der Zunge, er wusste bloß nicht, wo anfangen. Schließlich sagte er etwas, doch wegen der ohrenbetäubenden Kakophonie der Vorgruppe konnte ich es nicht verstehen. Dann bestürmte er Mark mit weiteren Fragen, aber dieser hatte offenbar alles gesagt, was er sagen wollte, und wieder auf den Sendepause-Modus »Ausdruckslos gucken« umgeschaltet. Für Ian und mich, zwei so enge Freunde, dass wir nicht nur immer wieder den Satz des anderen beenden, sondern auch mit einem einzigen Wort sieben verschiedene Sachverhalte ausdrücken und daher unsere Meinungen zu den unterschiedlichsten facettenreichsten Themen samt möglicher Berührungspunkte in weniger als fünf Minuten zusammenfassen können, ist so eine nonverbale Kommunikation schwer zu ertragen.
Mit anderen Worten: Es war ein Flop.
Später erinnerte ich mich an etwas, das mein Freund Kieran einmal über das Ostküsten- im Vergleich zum Westküstennaturell gesagt hatte.
»Die Leute von der Ostküste nehmen Verkrampftheit locker«, hatte er behauptet. »Die Leute von der Westküste dagegen sind in ihrer Lockerheit verkrampft.«
Das schien es zu treffen, obwohl Mark in Wahrheit wahrscheinlich weniger in seiner Lockerheit verkrampft war als vielmehr locker in seiner Lockerheit. In meiner schnelllebigen, wahrnehmungsgeschärften Welt wirkt so etwas leider wie sozial komatös.
Als mich Ian am nächsten Tag anrief, sagte er in seiner achtsamen unverblümten Art, dass er den gestrigen Abend genossen habe und Mark nett, aber nicht gut genug für mich sei. Ein ähnlich schweigsames – eigentlich sprachloses – Essen bei meinen Eltern ein paar Abende später bestätigte dies. Schweren Herzens und unter Seufzern rang ich mich zu einer Entscheidung durch. Sosehr ich Meghans Meinung schätzte und so wenig ich einen Typen nur deshalb fallen lassen würde, weil er meinen Eltern nicht gefiel – Ian hatte recht. Es war nicht die Frage, ob jemand wusste, was ein Mini ist oder ob Joy Division rockt, es ging darum, kulturell nicht völlig hinter dem Mond zu leben, eine Meinung zu haben und sie auch artikulieren zu können. Diskussionen über Nachhaltigkeit und
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