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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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München stirbt, liegt außerhalb Ihrer Verantwortlichkeit. Von mir aus erhalten Sie jedenfalls keinen Befehl, Häftlinge zu töten, wobei der Fangschuss wohlgemerkt keine Tötung ist, sondern als humane Behandlung anzusehen ist.«
    Kamloth kreuzte die Arme vor der Brust: »Schlau, sehr schlau.«
    Schwahl entgegnete liebenswürdig: »Sie schießen ja gern, Sturmbannführer …«
    »Worauf Sie sich verlassen können«, spottete Kamloth.
    Mit diesem Rededuell hatten sie sich genügend verständigt.
    »Über den Beginn der Aktion behalte ich mir noch weitere Befehle vor. Von heute an haben sich Kommandantur und Truppe stündlich einsatzbereit zu halten. Ausgangs- und Urlaubssperre ab sofort!« Schwahl stemmte die Arme in dieHüften, ruckte sich in den Schultern und schob den Bauch vor. In privatem Ton wandte er sich an die Versammelten: »Meine Herren, ich empfehle Ihnen, Ihre persönlichen Angelegenheiten zu ordnen und sich und Ihre Angehörigen abmarschbereit zu halten.«
     
    Der Schließer hatte Rose einen Strohsack und eine Decke für die Nacht gebracht. Auf der einzigen Pritsche in der Zelle lag Pippig, dessen Zustand sich von Stunde zu Stunde verschlimmerte. Solange Rose mit dem Gequälten noch hatte sprechen können, war Halt und Hoffnung in ihm. Jetzt antwortete Pippig nicht mehr, sein Körper war fieberheiß, und Rose kauerte, erbärmlich anzusehen, auf dem Strohsack in der Ecke. Er bangte der nächtlichen Vernehmung entgegen. Die Angst hockte daneben wie sein zweites, verknülltes Ich.
    Es hatte sich auf dem Kommando nicht ganz verheimlichen lassen, dass das Kind nach dem Block 61 gebracht worden war. Durch die Gespräche unter den Häftlingen war Rose zum Mitwisser geworden. Das widerwärtige Wissen quälte ihn so stark, dass er sich am liebsten noch nachträglich die Ohren zugestopft hätte. Aber nun war es zu spät, und er saß hier, mit einer Sache belastet, die ihn besser nichts anging.
    Die Nacht war klar. An der kalkigen Zellendecke spreizten sich die Schatten der Gitterstäbe des Fensters wie Finger einer geöffneten Hand. {Wie spät konnte es sein?} Rose mochte sich nicht hinlegen, um zu schlafen. Jeden Augenblick konnte er geholt werden.
    Rose lauschte. Draußen war es totenstill, und grabeskalt war es in der dunklen Zelle.
    »Rudi …«
    Von gegenüber kam keine Antwort.
    »Rudi …« Rose lauschte seinem eigenen Ruf nach. Plötzlich stand er auf und schlich auf Zehenspitzen zu Pippig.Der lag mit angekrümmten Beinen. Sein Kopf war über das Keilkissen gekippt.
    Wenn der nun stirbt? – Rose schluckte.
    »Rudi …«
    Rose hielt es nicht mehr aus. Er wollte schreien, dazu war er zu furchtsam. Er wollte mit den Fäusten gegen die Tür trommeln, dazu war er zu feig. Er verschloss sich nur mit den geballten Händen den Mund und krümmte sich ganz zusammen.
    Im Augenblick, als er sich umwandte, um auf seinen Strohsack zu kriechen, erstarrte er. Rücksichtslos gegen die Stille knallte ein Schlüssel ins Schloss, die Zellentür wurde geöffnet, der harte Strahl einer Stablampe schrie in die Zelle und traf Rose unbarmherzig ins Gesicht. Ein junger SA-Mann vom Nachtdienst trat herein.
    »Raus hier!« Mit herrischer Faust stieß er den verkrümmten Rose aus der Zelle.
     
    Um die gleiche Stunde hockte eine dunkle Gestalt an einer Bretterbude des Schweinegeheges der SS, das sich am Nordhang des Lagers befand. Hier war noch freies Gelände mit geringem Baumbestand des einstigen Bergwaldes. Vor dem Schweinegehege lagen die Gebäude des Häftlingsreviers, ihnen gegenüber, vom sogenannten Revierweg getrennt, das Kleine Lager.
    Die Gestalt im Schutz der Bretterbude verhielt sich reglos, lange Zeit. Sie schien zu lauschen. Nicht weit vom Schweinegehege entfernt zog sich der elektrisch geladene Stacheldrahtzaun ums Lager. An den nach oben eingebogenen Betonsäulen des Zaunes brannten die roten Birnen. Auf den Türmen standen die Posten. Offenbar galt ihnen die Aufmerksamkeit der reglosen Gestalt, die die Türme unausgesetzt beobachtete. Sie schien Augen eines Nachtvogels zu haben. Schwarz ragten die Maschinengewehre über die Brüstungder Türme. Die Gestalt rührte sich nicht. Auch die Posten standen still in ihre Mäntel gehüllt und ließen die Blicke über das Lager streifen. Manchmal knarrten die Dielen unter ihren Stiefeln, wenn sie sich die Füße vertraten. – Plötzlich duckte sich die Gestalt und huschte schattenhaft schnell und lautlos zu einem Baumstumpf. Hier verhielt sie kauernd, schaute sich nach

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