Nackt unter Wölfen
Schreibtisch herum, den Kopf erhoben. Dann fuhr er fort: »Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Meine Herren, ich bin für Ihrer aller Sicherheit verantwortlich. Nicht nur für jetzt, sondern auch für die Zukunft.« Er sagte es mit besonderer Betonung, der Zustimmung aller sicher, denn er kannte seine Leute.
»Ja, auch für die Zukunft«, wiederholte er. »Sie verstehen mich.« Keiner bemühte sich, alle versteckten sich voreinander mit ihrem Schweigen. Jetzt war es für Schwahl so weit. Mit offenem Triumph sagte er: »Der Tatkraft von Hauptsturmführer Kluttig verdanken wir, dass es ihm – ich möchte sagen – in letzter Minute gelungen ist, die Rädelsführer der geheimen Organisation im Lager aufzuspüren. Damit hat er uns einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Ich habe ihm Befehl erteilt, das Konsortium der Verschwörer erschießen zu lassen, und bin überzeugt, dass er meinen Befehl mit aller Klugheit und Umsicht ausführen wird.«
»Und was kommt hinterher?«, fragte der bis jetzt schweigsame Kamloth. Höchst verwundert zog Schwahl die Augenbrauenhoch. »Durchführung des Befehls von Reichsführer SS«, entgegnete er. Kamloth bewegte sich träg. »Himmler? Quatsch! Der sitzt weit vom Schuss und hat gut befehlen. Ich aber soll mich mit der Bagage herumplagen? Den Haufen zusammenknallen bis aufs letzte Arschloch. Das ist meine Parole.«
Schwahl fuhr unruhig herum. »Und die Amerikaner?«
Kamloth schob gelangweilt die Hände in die Hosentaschen.
»Reden Sie nicht so ’nen Stuss, Schwahl, ehe der rankommt, habe ich hier Kleinholz gemacht und bin längst über alle Berge.« Er lachte roh. Schwahl lief weiß an, seine schwammigen Backen zitterten.
Plötzlich schrie er hysterisch: »Im Namen Reichsführer SS, Sie haben mir zu gehorchen! Wer ist hier Kommandant?«
»Wer befehligt die Truppe? Sie oder ich?«, schlug Kamloth zurück.
Kluttig war aufgesprungen. Mit ein paar Sätzen stand er neben dem Sturmbannführer, bei ihm Deckung suchend. Die Erregung versagte ihm die Sprache, er sah nur wirr auf Schwahl. Auch die anderen hatten sich erhoben. Sie witterten Sensation. Doch Schwahl nahm dem gefährlichen Moment die Spitze: »Ein Komplott? Eine Verschwörung?«
Kamloth hatte nichts dergleichen im Sinn und entgegnete harmlos: »Quatschen Sie doch nicht. Verschwörung? Blödsinn! Ich habe nur keine Lust, mich mit dem Gesindel abzuschleppen. Bei mir knallt’s.« Er setzte sich in einen der Ledersessel am Konferenztisch und zündete sich eine Zigarette an. Im Schutz dieses mächtigen Bundesgenossen fühlte sich Kluttig plötzlich stark.
»Schießen! Das ist auch meine Parole«, trompetete er und stellte sich herausfordernd neben Kamloth auf.
Der Zwischenfall scheuchte alle aus ihrem Schweigen heraus und brachte sie durcheinander. Wild und wirr redetenund gestikulierten sie aufeinander los. Ohne Rücksicht auf Schwahl, ihren obersten Befehlshaber, nahmen die rüdesten unter den Blockführern für Kamloth Partei.
Wittig, der Ordonnanzoffizier des Kommandanten, brüllte sie an, sie brüllten zurück. Mützen wurden ins Genick geschoben, Arme fuchtelten. Jeder Rangunterschied, sonst peinlich beachtet, verschwand. Wittig stellte sich schützend vor Schwahl und schrie in den Aufruhr hinein:
»Herr Kommandant, befehlen Sie augenblicklich Schweigen!«
Sofort riss der Lärm ab.
Einige Blockführer, vor dem Kommandanten stehend, nahmen, über sich selbst erschrocken, sogar Haltung an. Der Einzige, der sich nicht beteiligt hatte, war Reineboth. Obwohl der sprunghafte Wechsel der Situation ihn sehr erregt hatte, weil er spürte, dass eine Entscheidung zwischen zwei gegensätzlichen Kräften bevorstand, war es ihm großartig gelungen, sich zu beherrschen. Jetzt schien der Kommandant wieder die Oberhand zu gewinnen.
Weisangk, die eingetretene Stille benutzend, schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und grölte erbost: »Verdammte Zucht, umanand! Was der Schwahl sagt, dös wird gemacht! Dös is unser Kommandant und koa andrer nich!« Keiner achtete auf ihn. Reineboth kniff die Augen zusammen, was würde nun geschehen? Kamloth drückte den Zigarettenrest aus und stand auf. Der Ausbruch, den er verursacht hatte, war ihm keineswegs recht. Er untergrub die Autorität des hierarchischen Kreises, dem er als hoher Offizier angehörte. Seine Meinungsverschiedenheit entsprang auch nicht politischen Erwägungen, sondern dem Bestreben, seine Haut in Sicherheit zu bringen. Hierbei war ihm die Häftlingsmasse im Wege. Was
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