Nackt unter Wölfen
Beamter am besten. Hier im Lager darf es jedenfalls keine Leichen geben.«
»Dös moan i aa.«
Überlegend drückte Schwahl die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. »Wir müssen Kluttig zuvorkommen, er darf uns kein Unheil anrichten. Du gehst sofort zum Tor, holst dir den Lagerältesten und den Lagerschutz und lässt nach den 46 suchen.«
»Moanst, dös uns der Lagerschutz den Gefallen tut und oanen von den Kerls …«
Unbeherrscht schrie Schwahl los: »Das ist mir egal! Du hast meinen Befehl! Ich lasse von Kluttig nicht das Lager umstülpen!«
Erschrocken sprang Weisangk hoch: »Nananaa, reg di net auf …«
Nach dem Einrücken waren die Blockältesten mit zu Krämer gekommen und drängten sich im engen Raum um ihn zusammen. Auf ihren Gesichtern flackerte es, und von den seelischen Strapazen glänzten die Augen fiebrig. Was wird nun werden, was sollen wir tun? Nervosität und Erregung brodelten. »Kumpels«, rief Bochow, »wir dürfen uns nicht verwirren lassen. Jetzt müssen wir klaren Kopf behalten. Sie wollen uns evakuieren. Die 46 will Kluttig umlegen. Er irrt, wenn er glaubt, damit unseren Widerstand zu treffen.« Stark hatte es Bochow in den Lärm hineingerufen, überrascht, nach so vielen Jahren wieder seine Stimme zu hören, nicht flüsternd und heimlich, sondern laut und kraftvoll, so als seisie plötzlich zu ihm zurückgekehrt. Das Lebensgefühl, in all den Jahren auf Klein gedreht, flammte auf und gab seiner Seele einen so unerhörten Schwung, dass er vermeinte, die Arme ausbreiten zu müssen. Kameraden! Genossen! Brüder! {Freunde! Menschen!}
Als pflanze sich in Krämer dieses drängende Bedürfnis fort, nahm ihm dieser das Wort ab. »Kameraden! Wir haben in allen Jahren zusammengehalten. Nun soll es sich erweisen, ob unsere Disziplin etwas taugt. Keine Unbesonnenheiten, Kameraden! Wir dürfen aus unseren Reihen keine Provokationen dulden, wir dürfen aber auch nicht auf Provokateure von dort oben hereinfallen. Denkt daran! Es kostet uns sonst das Leben von Tausenden. Zeigt denen da oben, dass wir kein wilder Haufen sind, sondern eine Gemeinschaft disziplinierter Menschen! Kameraden, hört zu, was ich euch jetzt sage! Alle Befehle, die wir erhalten, werden von nun ab so ausgeführt, wie wir sie an euch weitergeben.« Krämer blickte prüfend in die gespannten Gesichter. Die Blockältesten hatten ihn verstanden. »
Wir!
«, wiederholte Krämer und drückte sich die Faust gegen die Brust. »Geht zu euren Kumpels auf die Blocks. Lasst euch durch nichts bange machen. Es kommen schwere Tage. Wir müssen jetzt das Leben aller verteidigen! {Schließlich sind wir 50 000.} Wir verteidigen unser Leben mit den Waffen, die wir besitzen, mit Mut und eisenharter Disziplin!«
Krämers Worte hatten den Blockältesten eine starke Zuversicht gegeben. Ein warmes Gefühl für Krämer durchflutete Bochow. Er blieb zurück, als die Blockältesten den Raum verließen.
Die beiden Männer sahen sich in die Augen, und ein wenig verlegen meinte Krämer, die Gefühlsaufwallung, die auch ihm die Brust heiß machte, überbrückend: »Das musste ich jetzt wohl sagen …«
Bochow antwortete nicht.
Plötzlich umarmten sie sich, dem Drang unterliegend, dem ihre raue Scham nicht mehr gewachsen war, und standen stumm, das warme Pochen ihrer Herzen als Zwiesprache benutzend. Selten und darum umso kostbarer waren die Augenblicke im harten Leben der beiden Männer, wo das Gefühl, sonst karg und verborgen, alles überblühte. Rauborstig, wie immer, wenn es ihm da drinnen zu weich werden wollte, sagte Krämer: »Jetzt geht es los, Herbert.« Auch Bochow war froh, wieder der Alte sein zu können.
»Es ist sicher, dass es hier bald drunter und drüber gehen wird. Das gibt uns mehr Freiheit. Wo kann sich das ILK in Zukunft treffen? Was schlägst du vor?«
Krämer überlegte. »Ich meine, in der 17, dem Quarantäneblock. Dorthin geht die SS ebenso ungern wie in Block 61. Die 17 ist in der Nähe der Schreibstube, wir können immer Verbindung miteinander halten. Der Blockälteste von 17 ist ein guter Kumpel und kann euch sicher unterbringen.«
»Gut«, entschied Bochow. »Sprich du mit ihm, ich verständige die Genossen.« Sie drückten sich die Hand. Es lag eine feste Entschlossenheit in diesem Händedruck.
Noch immer wartete Kluttig. Der Appell musste längst zu Ende sein. Ungeduldig trat er aus dem Wachhaus. »Was ist los? Wann kommen nun die Kerle?«
Der angesprochene Hauptsturmführer zog die Schultern hoch.
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