Nackt unter Wölfen
tonloses Meckern schüttelte Schwahl. »So sehen wir jetzt also aus, so sehen wir aus …«
Gepeinigt knallte Kluttig mit der flachen Hand auf den Tisch: »Hör auf!«
»Ja, wir hören auf«, sagte Schwahl mit ächzendem Zynismus. »Von heute an gibt es uns nicht mehr! Oder wie bitte, Herr Lagerführer? Wie lange wünschen Sie es noch zu sein?«
Schwahl erhob sich, ruckte sich in den Schultern zurecht, schob den Bauch vor und stemmte die Fäuste in die Seiten.
»Im Grunde ziehen wir beide am gleichen Strang, nur jeder am anderen Ende. Das muss aufhören. Du bist ein alter tapferer Kämpfer, treu und ergeben. Hochachtung, Robert!«
Kluttig verbiss sich schweigend die Lippen. Das umgestülpte Innere Schwahls, das ihm so erschreckend sichtbar geworden war, hatte auch die eigene innere Verwüstung bloßgelegt. Ohne es sich oder gar Schwahl einzugestehen, wusste Kluttig, dass seine Sucht nach Vernichtung nur dasWüten gegen die drohende Auflösung war. Im Grunde gab es nichts, als das Auto vollzupacken und rechtzeitig vor dem Amerikaner zu verschwinden. Plötzlich fiel Kluttig die drallbrüstige Hortense ein, sie wollte er sich mitnehmen.
Schwahl stieß Kluttig gegen die Schulter. »Hörst du zu, was ich dir sage?« Kluttig straffte sich. »Ja, natürlich, ja, ich höre zu.«
»In einer Woche muss das Lager leer sein, mehr Zeit haben wir nicht. Mit jedem Transport geht ein Teil der Truppe mit. Heute Nachmittag beginne ich mit der Räumung.«
»Und was wird mit den 46?«
Kluttigs Hartnäckigkeit ließ in Schwahl die Nervosität erneut aufbrechen. »Wegen 46 Mann kann ich kein Durcheinander veranstalten.«
»Sie sind der führende Kopf …«
»Ach was, Kopf oder Schwanz! Alles geht mit.«
»Und wenn Widerstand geleistet wird?«
Verzweifelt umschloss Schwahl seinen Kopf mit den Händen. »Dann jagen wir sie mit Hunden hinaus.«
Kluttig lachte zerrissen: »Das gibt Tote, und die willst du nicht haben.«
Mit Schwahls Beherrschung war es vorbei. »Und wenn jeder Transport ein Leichenzug wird«, schrie er, »hier bleibt kein Toter zurück.«
Störrisch beharrte Kluttig: »Wenn sie uns die 46 nicht ausliefern, lasse ich sie durch Nachtstreifen suchen.«
»Jaja«, wimmerte Schwahl klein und schwach, »lass suchen, ich schicke dir meinetwegen noch eine Hundestaffel ins Lager. Aber bring mir nicht die Evakuierung durcheinander.«
Völlig ausgepumpt sank er in den Sessel zurück.
Die Häftlinge vom Lagerschutz gingen von Block zu Block. »Habt ihr einen von den 46 versteckt?«
»Nein, wir haben niemand versteckt.«
»In Ordnung. Gehen wir zum nächsten Block.«
{Sie erfüllten gewissenhaft ihre Pflicht.}
Inzwischen leitete Schwahl die ersten Maßnahmen der Evakuierung ein. In seinem Dienstzimmer war der Stab versammelt: Wittig, die Ordonnanz, Kamloth, Kluttig, Weisangk und Offiziere der Truppe. Schwahl erteilte die Befehle. Die Offiziere eilten fort, um sie auszuführen. Bald brodelte und wirrte es im Gelände um das Lager von marschierenden SS-Gruppen und ratternden Lastautos. Die äußere Postenkette um das Lager wurde auf Schwahls Befehl hin verstärkt, die Wachposten auf den Türmen {wurden} verdoppelt, neben den vorhandenen leichten {wurden} schwere Maschinengewehre auf die Türme montiert, Handgranaten, Panzerfäuste verteilt.
Schwahls Dienstzimmer verwandelte sich in ein Hauptquartier. Ununterbrochen läutete das Telefon. Meldungen über ausgeführte Befehle wurden gebracht, neue Befehle mitgenommen. Es war ein Kommen und Gehen, und Schwahl, der über alles entscheiden musste, von dem ein jeder etwas wollte, war mitten hineingestellt in diesen Trubel. In das Durcheinander platzte ein Personenwagen mit Offizieren der Wehrmacht. Sie brachten Schwahl einen Befehl des Stadtkommandanten von Weimar, die in den Munitionsbunkern der SS lagernden riesigen Bestände von deponierter Wehrmachtsmunition sofort abzutransportieren. Die Munition wurde im Raum zwischen Halle und Hof dringend gebraucht, wo die vor dem Amerikaner zurückweichenden Armeegruppen versuchten, eine neue Verteidigungslinie aufzubauen.
»Meine Herren, meine Herren!«, rief Schwahl verzweifelt, »Sie sehen, wir sind mitten in den Vorbereitungen zur Räumung des Lagers.«
Doch er musste den Befehl durchführen und gab ihn an Kamloth weiter. Der flitzte mit den Offizieren zu den Truppengaragen,hier jagte er Brauer und Meisgeier auf: »Sofort 20 LKWs fertig machen!« Bald knatterten die Wagenkolonnen durch das Gelände zu den Munitionsbunkern
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