Nackt unter Wölfen
war das für eine Dummheit von uns, ein kleines Kind zu verstecken! – Hätten wir es, als wir das Wurm fanden, lieber am Tor abgegeben, dann lebte unser Pippig noch, und dann säßen nicht Höfel und Kropinski im Bunker und warteten jetzt auf ihren Tod! Dann wäre auch über euch und das Lager keine Gefahr gekommen. Allerdings hätten sie dann das Kind totgeschlagen, doch das wäre nicht so schlimm gewesen, was?«
{Es war merkwürdig still geworden.}
Eine sonderbare Aufmerksamkeit füllte den Raum.
»Hättest
du
das Kind bei der SS abgegeben?«, fragte Krämer Pribula, in dessen Nähe er stand.
Der junge Pole antwortete nicht. Krämer sah das heimliche Glitzern in dessen Augen.
»Siehst du, so schwer ist die Entscheidung über Leben und Tod! – Meinst du, dass es mir leichtfällt, Todestransporte zum Tor zu schicken?«
Krämer wandte sich allen zu. »Was soll ich tun? – Soll ich zu Kluttig gehen: Ich verweigere den Befehl, schieß mich über den Haufen? … Großartig von mir, was? … Ihr würdetmir bestimmt ein Denkmal setzen … Aber ich verzichte auf die Ehre und schicke dafür Menschen in den Tod, um … Menschen zu retten, nämlich nur, damit Schwahl nicht schießt.«
Krämer sah in die Gesichter hinein, die ihn anstarrten. »Begreift ihr das? … Es ist nicht so leicht, das zu begreifen. Es ist überhaupt nicht leicht. Denn alles, was wir jetzt tun müssen, ist nicht nur eine
einfache
Entscheidung! Wir haben nicht
einfach
zu wählen zwischen Leben und Tod! Wäre es so, dann würde ich sagen: Jawohl, her mit den Waffen, ab morgen schießen wir! Sagt mir: Haben wir Pippig in den Tod getrieben, weil wir das Kind gerettet haben? Sagt mir: hätten wir das Wurm umbringen lassen sollen, um Pippig zu retten? – Na, sagt es doch! Wer gibt mir die richtige Antwort?«
Krämer war in tiefe Erregung geraten. Er musste noch viel sagen. Doch die Gedanken wurden für ihn immer komplizierter, er formte sie mit den Händen, fand aber keinen Ausdruck mehr und kapitulierte vor dem Schwierigen.
Die Männer schwiegen. Es war, als hätte Krämer jedes einzelne seiner schweren Worte von der Waagschale genommen und sie in die Hände der Männer gelegt: da, wägt selbst!
Die Männer waren zur Besinnung gekommen. Disziplinierter, als sie begonnen, wurde die Besprechung zu Ende geführt.
Gemeinsam mit den Führern der Gruppen konnten die Genossen des ILK die Taktik für die nächsten Tage festlegen. Der Antrag zum bewaffneten Widerstand wurde als verfrüht abgelehnt. Durch die Aussprache gelangten die Männer zu der Überzeugung, dass der Stillstand der Front nur ein vorübergehender sein konnte und die Tage der Lagerfaschisten gezählt waren. Es blieb bei der Taktik des Verzögerns und des passiven Widerstands, so bitter es auch war, noch Tausende in den Tod gehen lassen zu müssen.
Brendel vom Lagerschutz kam. Er sprach leise mit Bochow.Auf dessen Gesicht zeichnete sich starke Anteilnahme ab. »Kameraden«, rief er, »die Front bewegt sich weiter! Soeben erhielten wir sichere Nachrichten! Östlich von Mühlhausen sind heftige Kämpfe im Gange! Langensalza und Eisenach sind gefallen!«
»Ruhe! Schreit nicht! Seid ihr verrückt geworden?«, sprang Krämer dazwischen und dämpfte den Lärm der Männer, die es von den Bänken hochgerissen hatte. –
Schon am frühen Morgen des folgenden Tages erhielt Krämer neue Befehle. Binnen weniger Stunden sollten wiederum 10 000 Mann abgehen, denen weitere 10 000 zu folgen hatten. Für den gleichen Tag war der geschlossene Abmarsch der 800 sowjetischen Kriegsgefangenen angeordnet worden.
In den Kasernen schrie und kommandierte es schon. Die Begleitmannschaften für die großen Transporte wurden eingeteilt. Der Fall von Eisenach machte die Eile des Aufbruchs zur Flucht. Tausende der Häftlinge waren seit Tagen schon marschbereit. Im Lager wimmelte es. Während Krämer mit den Blockältesten und einem Teil des Lagerschutzes den ersten Transport zusammenstellte, während bereits lange Züge der SS von den Kasernen her zum Lager marschierten, fand sich das ILK im Block 17 zu einer eiligen Besprechung zusammen.
Der Abmarsch der Kriegsgefangenen bedeutete den Verlust starker Widerstandsgruppen. Es wurde beschlossen, dass die Kriegsgefangenen dem Befehl Folge leisten sollten. Da mit Sicherheit anzunehmen war, dass der Vormarsch der Amerikaner von Stunde zu Stunde weitere Fortschritte machen werde, sollten die Kriegsgefangenen unterwegs, dort, wo sie amerikanische Vorhuten
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