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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Zweiling schob neugierig die Zunge auf die Unterlippe.
    »Ich weiß es nicht.«
    Zweiling bleckte die Zähne:
    »Reden Se bloß nicht. Ihr wisst doch mehr als wir.«
    »Wieso?«, stellte Krämer sich dumm.
    »Ich möchte nicht hinter eure Schliche kommen.« Er stakte in sein Zimmer zurück.
    Krämer sah ihm nach, brummte:
    »Der hört wohl die Nachtigallen trapsen …«
    Zwischen den Zähnen flüsterte er: »Ich komme von Bochow. Muss mit dir reden. Gehen wir vor die Tür.«
    Pippig, mit einem Packen Kleidungsstücke auf dem Arm, kam aus dem Kleiderraum zur Tafel, er hatte Krämers letzte Worte aufgefangen und blickte den beiden misstrauisch nach, die die Kammer verließen. Sie standen draußen auf dem Podest der Steintreppe, die links und rechts an der Wand des Gebäudes {zur Effektenkammer} im ersten Stock hinaufführte. Krämer lehnte sich gegen das Eisengeländer des Podestes.
    »Kurz und klar, André, ich weiß über alles Bescheid. Morgen geht der Transport. Der Jankowski nimmt sein Kind wieder mit, verstanden?«
    Höfel benahm sich wie ein Verurteilter, er ließ den Kopf hängen.
    »Geht es nicht anders mit dem Kind?«, fragte er leise.
    Es waren dieselben Worte der gleichen Frage, wie sie Krämer an Bochow gerichtet hatte. So musste es also auf der ganzen Welt keine anderen Worte in dieser Ausweglosigkeit geben. Und mit den gleichen Worten Bochows antwortete nun auch Krämer:
    »Ausgeschlossen. Ganz ausgeschlossen!«
    Erst nach einer langen Zeit fragte Höfel:
    »{Geht es nach Bergen-Belsen}?«
    Gepeinigt klopfte Krämer mit den Handballen auf das Rohr des Geländers, antwortete nicht. Höfel sah ihn an.
    »Walter …«
    Krämer wurde ungeduldig.
    »Wir können hier nicht so lange herumstehen. Du weißt besser als ich, was mit dir los ist. Mach keine Zicken. Ich habe mit dem Transport genug zu tun morgen, kann mich nicht drum kümmern, ob es mit dem Kind in Ordnung geht. Also …«
    Er ließ Höfel stehen und stieg die Treppe hinab. Höfel drehte sich wie geschoben um und ging in die Kammer zurück.
    »Was wollte der von dir?«, forschte Pippig. Höfel gab keine Antwort. Sein Gesicht war finster. Er ging an Pippig vorbei in das Schreibbüro hinein.
    Der nasskalte Wind fauchte zwischen den Baracken, und Krämer kroch mit den Händen tiefer in die Taschen seines Mantels. Er überquerte einen Weg, der nach links hinauf den Blick auf das Krematorium {an der Ostseite des Appellplatzes} freigab auf das unheimliche Gebäude mit seinem stumm ragenden Schornstein. Eine Planke aus braunen, mit Karbolineum getränkten Brettern umgab das Ganze und entzog es den Blicken Neugieriger. Was hinter diesen Brettern geschah … Kein Häftling hatte es je gesehen, denn der Zutritt war streng verboten. Krämer wusste es dennoch.
    In seiner Eigenschaft als Lagerältester war er schon einige Male hinter dieser Planke gewesen, wenn neue Transporte einige hundert Tote mitgebracht hatten. Auf dem Hof lagen sie dann zu Bergen. Polen, die im Krematorium als Leichenträger beschäftigt waren, zogen eine Leiche nach der anderen vom Haufen und rissen ihr die Kleider vom Leib. Sie waren wertvoller Spinnstoff, der nicht mit verbrannt werdendurfte. Das Entkleiden der Leichen war keine leichte Sache. Die im Todeskampf verkrampften und in der Leichenstarre eisenfest gewordenen Glieder gaben die Kleidungsstücke nicht freiwillig her. Doch die Leichenträger hatten Routine. {Immer zu zwei Mann an einer} Leiche. Zuerst wurden die Knöpfe des Mantels und der Jacke geöffnet, dann wurde der Tote in Sitzstellung gebracht. Während der eine Leichenträger ihn hielt, {riss} ihm der andere Mantel und Jacke über den Kopf, ein grausig-grotesker Anblick. Mit hängendem Kopf und vorgestreckten Armen wirkte der Tote wie ein Betrunkener, den man auskleidet, um ihn zu Bett zu bringen. Die verkrampften Finger hielten sich wie Widerhaken an den Ärmeln fest. Ein kräftiger Ruck entriss das Kleidungsstück den widerspenstigen Totenhänden. Auf nacktem Körper trugen viele der Leichen{, besonders jener Transporte, die von Auschwitz gekommen waren,} seidene Damenunterwäsche auserlesener Eleganz. Vom zartesten Lachs bis zum Meergrün. Das Dekolleté enthüllte die knochendürre Brust mit den hervorspießenden Schlüsselbeinen. Hilflos entblößt lag die Leiche auf der schlammigen Erde mit erbarmungsvoll verkrampften Armen, der kahlgeschorene Kopf zur Seite gesunken. Mit ihrem aufgerissenen Mund, der wie ein schwarzes Loch klaffte, sah manche von ihnen aus, als

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