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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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trabten. Sie feixten sich unter den ungewohnten Kopfbedeckungen verständnisinnig zu.
    Über ihnen brummten die Pulks im Entenflug über das Lager hinweg. Pulk auf Pulk. Einschläge rumsten und kollerten.
    Ob das in Gotha war oder in Erfurt? –
    An der äußeren Postenkette angelangt, meldete Köhn den Trupp beim Postenführer und schien ein besonderes Vergnügen daran zu haben, seine »Leute« zackig einzuteilen.
    »Vier Mann nach den SS-Kasernen! Vier Mann zum Divisionsnachschub! Vier Mann zu den Truppengaragen, und der Rest geht mit mir zu den Führerhäusern. Binnen zehn Minuten nach Entwarnung ist der Trupp vollzählig wieder hier, verstanden?!«
    »Jawohl!«, dröhnte es kräftig im Chor.
    »Ausschwärmen, marschmaarsch!«
    Die Eingeteilten spritzten nach den angegebenen Richtungen auseinander, und der Postenführer stand stumm und hatte diesmal nichts zu befehlen.
     
    Höfel hatte sich an seinen Tisch gesetzt und starrte auf die Transportliste, die vor ihm lag. Zum Glück hatten die Häftlinge im Schreibbüro die Vorgänge draußen nicht bemerkt, und Höfel blieb darum von neugierigen Fragen verschont. Nicht das hinterhältige Angebot Zweilings hatte Höfel so aufgewühlt, sondern die unverhoffte Möglichkeit, das Kind zu retten. Es war so verlockend leicht und einfach, dennoch riss und zerrte es in Höfels Brust. Eben noch hatte er Krämer versprochen, das Kind aus dem Lager zu schaffen. Und der vertraute seinem Wort. Wenn er es brach? – Wenn er das Kind heimlich zurückhielt? – Vor Zweiling brauchte er sich nicht mehr zu fürchten. Höfel starrte auf die Zahlenkolonnen der Liste. Jede Nummer war ein Mensch, und einer davon fehlte, das Kind. Es hatte keine Nummer. Es war nicht vorhanden. Man brauchte es nur in einen Koffer zu stecken und … Einer unter den Tausend, die am Nachmittag durchs Tor zogen, würde das Etwas mit sich schleppen … Höfel presste die Augen zu. War denn die korrekte Erfüllung seiner Pflicht nicht das beste Alibi vor seinem eigenen Gewissen?
    Doch da war es wieder, das quälende Schuldgefühl. Wieder hatte Höfel die drückende Empfindung, als ob aus weiter Ferne zwei Augen auf ihn gerichtet wären, stumm und stetig. Waren es Kinderaugen? Waren es die Augen seiner Frau {(ich küsse Dich innig)}? {Waren es seine eigenen Augen? Waren es überhaupt Augen? Konnte es nicht auch ein Finger sein, der auf ihn wies? Dieses Schweigende schrie ihn an, schrie, schrie!} Noch nie in allen Jahren seiner Haft hatte sich Höfel so allein gefühlt wie jetzt.
    Vor dem verlockenden Angebot war er geflüchtet. Vor Pippigs stummen Augen war er geflüchtet. Nur sich selbst konnte er nicht entfliehn, obwohl er fühlte, dass er zu schwach war, die Entscheidung aus eigener Kraft herbeizuführen.
    Höfel ging hinaus zu Pippig. Der stand noch immer an der langen Tafel, als warte er auf ihn. In der Luft brummte es ununterbrochen. Das musste diesmal ein Großangriff sein. Zweiling stand in seinem Zimmer am Eckfenster und beobachtete den Himmel. Mit schnellem Blick überzeugte sich Höfel, dass er von Zweiling nicht gesehen werden konnte, und sagte rasch zu Pippig: »Komm mit.«
    Sie gingen nach hinten in den Winkel. Kropinski {saß in der Ecke, wiegte das Kind im Arm und flüsterte ihm polnische Worte zu. Er setzte das Kind ab und} trat zu den beiden. Sein ganzes Wesen war von gespannter Erwartung erfüllt. Die drei standen eng beisammen. Höfel machte eine bezeichnende Kopfbewegung nach vorn. »Der hat mir ein Angebot gemacht, das Kind kann hierbleiben.«
    {Im Gegensatz zu Kropinski, der hungrig an Höfels Lippen hing, blieb Pippig ungerührt. »Das hatte ich mir gedacht«, sagte er} trocken, »als Lösegeld, wenn’s andersrum geht. Gar nicht dumm. Und du, was hast du …?«
    Höfel zuckte unentschlossen mit den Schultern. Pippig wurde ärgerlich. »{Ich möchte wissen, warum du Angst hast. Wenn der es zulässt, dann hast du ihn in der Hand. Mensch, André,} er kann dich nicht verraten.«
    Höfel, unentschlossen, machte schwache Einwände. »Behalten wir das Kind zurück, dann glaubt er, ich sei auf sein Angebot eingegangen …«
    Pippig entgegnete: »Und wennschon, es kann uns egal sein.« {»Und wenn Rose quatscht?«
    Pippig winkte verächtlich ab: »Den halte ich eisern nieder, hab keine Bange …«} Kurz entschlossen entschied er: »Das Kind bleibt hier!«
    Mit einem Rest von Widerstand wollte Höfel aufbegehren, da klopfte ihm Kropinski schon auf die Schulter. »{Du sein guter Bruder …« Höfel

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