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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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machte die Freude der beiden krank. Zwar löste sich in seiner Brust das versteinerte Schuldgefühl gegenüber dem Kind, dafür aber lastete es umso schwerer auf ihm, wenn er an Krämer dachte.} Höfel schob wortlos die Hände in die Taschen, stand überrumpelt und lächelte bitter über seine Unentschlossenheit.
    Noch immer dauerte der Fliegeralarm an. In den Blocks hockten die Häftlinge um die großen Füllöfen herum, die nur eine dünne Wärmehülle um sich verbreiteten, denn die Feuerung war knapp. Die zusätzliche Wärme kam von den Ausdünstungen der Menschen, die hier auf engem Raum zusammengedrängt waren. Manche schliefen mit aufgelegten Armen am Tisch, der Lärm um sie herum störte sie nicht. Das Lager war wie ausgestorben, und der große Appellplatz lag verödet. Auch am Tor rührte sich nichts. Nur auf den Türmen rings um das Lager vertraten sich die Posten die Füße und schauten zum Himmel hinauf.
    Im Gelände der SS-Mannschaftskasernen patrouillierten vier Mann des Sanitrupps. Gemächlich schritten sie zwischen den Kasernen dahin, aber sie hatten die Augen offen. Wie viel von den Kasernen waren belegt?
    Eine andere Gruppe ging an der Nordseite des Lagers das Waldgelände ab. Von hier aus konnte man, sofern der Wald die Sicht freigab, weit ins Thüringer Land hineinsehen. Von den Posten scheel beobachtet, gingen die vier am Zaun entlang.
    Auch sie hatten eine Aufgabe. Wo war – in Verbindung zum Lager, den Türmen und dem Wald – die Stelle am Zaun, die für einen Ausbruch am geeignetsten erschien? Die sowjetischen Stahlhelme verbargen vor den Posten die spähenden Blicke. Manchmal blieben die vier stehen, um durch einen Rundblick im Gelände die Langeweile der stundenlangenPatrouillen zu vertreiben. Doch dieser harmlose Blick war Abschätzen und Abmessen. Von den Posten ungehört, flüsterten sich die vier ihre Beobachtungen zu.
    Erst am Nachmittag wurde der Alarm aufgehoben. Die Sirene gab es mit langem Heulton bekannt. Das Lager belebte sich. Aus den Blocks strömten die Häftlinge.
    An der Küche klapperten die Kübel mit dem verspäteten Mittagessen, die armselige Suppe war inzwischen kalt geworden. Auch am Tor regte es sich wieder, und es dauerte nicht lange, bis Reineboth durch das Lagermikrophon den Transport ans Tor forderte. Ein Befehl, der das Kleine Lager wie einen Ameisenhaufen aufwimmeln ließ. Vor den Pferdeställen wirrten die Häftlinge durcheinander. Es hatte getaut, und die hin und her quirlenden Menschen patschten im Dreck und Schlick. Die Blockältesten und Stubendienste hatten Mühe, das Durcheinander zu ordnen, es wurde geschrien, gestoßen, gedrängelt, bis endlich nach vielem Lärm und Hin und Her die Marschkolonnen gebildet waren.
    Auf der Effektenkammer war die Ausgabe der wenigen Habseligkeiten schnell erledigt worden. Wie drei Verschwörer standen Höfel, Pippig und Kropinski beisammen. In jedem Nerv spürte Höfel die Krise. Nervös wehrte er Pippigs Vorschlag ab, Jankowski zu holen, um ihn von dem Kind Abschied nehmen zu lassen. Er wollte ihn nicht sehen, er wollte nichts wissen, nichts hören.
    »Mensch, André, du kannst doch den armen Kerl nicht so ziehen lassen …«
    »Lass mich in Ruhe damit!« Höfel fieberte an jedem Nerv. Er ließ die beiden stehen und verkroch sich im Schreibbüro.
    Pippig war verzweifelt. »Geh, Marian«, sagte er schließlich, »lauf zum Kleinen Lager, und bringe es Jankowski bei.«
    Dieser befand sich in höchster Aufregung. Gleich würde der Transport abmarschieren, und keiner brachte ihm dasKind. Immer wieder lief er aus der Reihe des Marschzugs heraus und beschwor den rundköpfigen Blockältesten in wortreichem Polnisch, er möge ihn zur Effektenkammer gehen lassen. Der Blockälteste, froh, den Zug beisammenzuhaben, hatte kein Ohr für Jankowskis Flehen und schob ihn ungeduldig in den Zug zurück. Jankowski flatterte wie ein gefangener Vogel.
    So fand ihn Kropinski. In heller Aufregung lief Jankowski ihm entgegen und klammerte sich an ihm fest. Tränen rannen ihm über das verstörte Gesicht. Er wollte es nicht verstehen, ohne Kind das Lager verlassen zu müssen. Kropinski fand kaum Worte, den Unglücklichen zu trösten. »Du musst nicht weinen, Bruder«, sagte er ein über das andere Mal, »wir können den kleinen Stephan viel besser beschützen als du, glaube es mir.« Jankowski schüttelte heftig mit dem Kopf. Als ein Bild des Erbarmens stand er da. Die graue Zebramütze hatte er, um sich vor der Kälte zu schützen, über die

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